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Autokino ist Kunst

19. Februar 2010

In Amerika nutzten Teenies es vor allem zum heimlichen Knutschen. Nun hat die Berlinale das Autokino entdeckt, in Form einer interaktiven Ausstellung. DW-Reporterin Sarah Judith Hofmann hat sich das Kunstwerk angesehen.

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Ein alter VW Bus, der zu einer Bar umfunktioniert wurde, an dem drei Personen stehen und etwas kaufen
Für Cola und Popcorn ist gesorgt: Ein alter Bus ist die BarBild: DW

"Draußen ist es arschkalt. Es ist wirklich beschissen."

Ja, denke ich, arschkalt ist es. Meine Füße sind immer noch wie gefroren. "Ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen. Als drinnen. In einem Auto. Mit Dir. Hier in Berlin. Der Stadt des Films." Ich blicke um mich. Neben mir meine Schwester. Hinten im Auto eine Freundin. Und ja, auch wenn der Film-Trailer des "Autokinos" in der Temporären Kunsthalle Berlin, der hier über die Leinwand mit mir spricht, mit "Dir" vermutlich eher auf das Bild knutschender Teeniepärchen in Autokinos anspielt: Ich fühle mich gerade ganz wohl. Am Steuer eines VW-Busses, Baujahr 1998, die Colaflasche in der Hand, auf dem Schoß Gummibärchen, von hinten wird mir Popcorn gereicht.

Ohne Rost

"Installation der Temporären Kunsthalle" in Berlin von der Künstlerin Bettina Pousttchi. (Foto: Bettina Pousttchi)
Bild: Bettina Pousttchi

Ich bin in der Ausstellungshalle der Temporären Kunsthalle Berlin, die genau neben der riesigen Baustelle am Schlossplatz steht, dort, wo früher der Palast der Republik war. Hier tagte die Volkskammer der DDR. Dann stand der rostfarbene 70er Jahre Bau erst einmal leer. Er war asbestverseucht. Und so entbrannte eine langjährige Debatte über die Zukunft des Baus Mitten im Herzen von Berlin zwischen Alexanderplatz und der Prachtstraße Unter den Linden. Eine Zeit lang diente er als Kunsthalle, bis 2006 der schrittweise Abriss begann. Inzwischen klafft ein riesiges Loch an der Stelle, wo der rechteckige Palast stand - die Baustelle für Berlins Großprojekt: der Wiederaufbau des alten Stadtschlosses, das im 2. Weltkrieg zerbombt worden war.

Die Temporäre Kunsthalle ist allein ein Provisorium bis das Schloss gebaut ist - und absurderweise sieht die Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst genau so aus wie der alte DDR-Bau. Nur leider ohne all den Rost, kühl und schwarz schimmernd. Eine Installation von Bettina Pousttchi ist das, denn die Kunsthalle wird auch von Außen alle paar Monate neu von Künstlern gestaltet.

"Alter, hup doch mal!"

Drinnen, in der Ausstellung, zur Zeit also das "Autokino". Da wollte ich hin. Ein bisschen von der Berlinale mitbekommen und das möglichst nicht nur in der Kartenschlange in den Potsdamer Platz Arkaden. Das kann ich hier im VW-Bus. Denn auch die Autos, die der Künstler Phil Collins in die große, kahle Halle gestellt hat, sind Teil der Berlinale. Für die Zeit des Festivals werden hier neben vielen Kurzfilmen, die noch den ganzen März über gezeigt werden, auch Filme aus der Sektion "Forum Expanded" vorgeführt. Und das ganz umsonst. Man muss nur einen Platz ergattern. Und das Radio einschalten, wie mir die Stimme von der Leinwand gerade wieder mitteilt. 89,2 Megahertz. Schon eingestellt. Ein bisschen lauter wäre gut. Welcher Depp fängt denn jetzt an zu hupen? Und noch einer. Ein wahres Hupkonzert der 15 Gebrauchtwagen in der Halle beginnt. Nur ich bin die Letzte, die merkt: wieder eine Leinwandanweisung. "Hey Alter, hup doch mal! Jetzt! Trau dich." Ok, ich habe es verpasst, zu spät. Der Film fängt an.

Fassbinder durch die Autoscheibe

Die Halle der Temporären Kunsthalle von innen mit Blick auf Autos und Leinwand (Foto: Phil Collins/Temporäre Kunsthalle)
Bild: Phil Collins/emporäre Kunsthalle Berlin

Ein asiatischer Transvestit nimmt Platz in einer Bar. Bestellt in gebrochenem Deutsch "ein Cola" und sagt, dass es draußen geregnet habe. "Angst essen" heißt der Film von Ming Wong. Auch deswegen wollte ich ins "Autokino". In der Erwartung auf Rainer Werner Fassbinder oder irgendetwas, das mit seinem Klassiker "Angst essen Seele auf" zu tun hat. Je länger der Film läuft, desto klarer wird mir: Dies ist eine astreine Parodie auf Fassbinder. Die Szenerie der Kneipe, die Dialoge der Protagonisten, alles ist perfekt nachgestellt.

Hässliche Gebrauchtwagen

Vielleicht liegt es an all den erotischen Assoziationen des Autokinos, dass die Fassbinder Dialoge mir plötzlich wie die Kulisse eines schlechten Pornos vorkommen, vielleicht daran, dass alle Frauen von Männern gespielt werden. Aber das ist auch wahre Kunst, denke ich, Fassbinder in Kurzfassung, gespielt von Transvestiten und all das durch die Scheibe eines alten Wagens, der gar nicht mal so alt ist. Auch das ist schön am "Autokino", dass hier keine alten Chevrolets aus den Sechzigern und Siebzigern stehen, sondern hässliche Gebrauchtwagen aus den Neunzigern. Und Sprüche, die nicht cool sein wollen, sondern einfach passen:

"Hey Kids! Raus aus dem Auto! Draussen wartet eine langweilige Welt. Viel Erfolg!"

Autorin: Sarah Judith Hofmann

Redaktion: Conny Paul