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Ausgebeutet - mitten in Europa

Carmen Meyer21. August 2015

Sklaverei, Abhängigkeit, Gewaltandrohung - die Worte, mit denen Dimitru Cubylyass beschreibt, was er in Deutschland erlebt hat, klingen hart. Doch die Geschichte des rumänischen Hilfsarbeiters ist kein Einzelfall.

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Protestkampagne gegen die Ausbeutung rumänischer Bauarbeiter
Bild: DW/H. Ernst

Eine Zweizimmerwohnung, zusammen mit 17 anderen Männern, für 1700 Euro Miete im Monat - das war Berlin für Dimitru Cubylyass. Sein Cousin hatte ihm von viel Arbeit und gutem Lohn erzählt, also war er 1500 Kilometer von seiner rumänischen Heimat nach Deutschland gereist.

Anfangs lief alles gut: Der 36jährige schleppte Zementsäcke oder Parkett auf der Baustelle des Berliner Shoppingpalastes "Mall of Berlin". Die ersten Wochen bekam er regelmäßig Lohn von fünf bis sechs Euro die Stunde. Dann wurden die Zahlungen unregelmäßig, später bekamen er und rund 30 weitere rumänischen Arbeiter nichts mehr. Auch der versprochene Arbeitsvertrag blieb aus.

Rumänische Bauarbeiter kämpfen um Lohn

Ausnutzen von Unsicherheit

Ein typischer Fall von systematischer Ausbeutung, sagt Dominique John. Der Gewerkschafter leitet für den Deutschen Gewerkschaftsbund das Projekt "Faire Mobilität". Besonders osteuropäische Arbeitnehmer seien betroffen. Private Jobvermittlungen nutzen die fehlenden Sprachkenntnisse aus, das Unwissen über die eigene Rechtslage. "Dazu koppeln diese Leute den Arbeitsvertrag oft mit einer Unterbringung. Wenn die Arbeitnehmer krank werden oder nicht mehr bereit sind, die Bedingungen zu ertragen, droht ihnen die Obdachlosigkeit." Eine doppelte Abhängigkeit, aus der sich die wenigsten befreien können.

Kaum einer wehrt sich

So erging es auch den meisten Kollegen von Dimitru Cubylyass. Keiner wusste, dass ihnen auf Berliner Baustellen der Tariflohn für Hilfsarbeiter von rund 11 Euro zusteht. Und als der Lohn ausblieb, kehrten viele resigniert mit leeren Taschen zurück in die Heimat.

Dimitru Cubylyass aber wollte seiner Familie so nicht unter die Augen treten. Zusammen mit ein paar anderen nahm er allen Mut zusammen und fing im vergangenen Herbst an, vor dem Einkaufszentrum zu protestieren. Bei Minusgraden campierten sie tagelang vor der "Mall of Berlin".

Gericht erkennt Lohnforderungen an

Die Gewerkschaft "Freie ArbeiterInnen Union" (FAU)schaltete sich ein und hat sieben Fälle vor das Berliner Arbeitsgericht gebracht. Mit ersten Erfolgen: Drei Rumänen kamen im August vor Gericht zu ihrem Recht. Einer von ihnen ist Nicolae Molcoasa. Der gelernte Metallarbeiter hat Anspruch auf rund 1200 Euro Lohn. Persönlich konnte er das Urteil aber nicht miterleben. Nach monatelangen Protesten war er zuletzt ohne festen Wohnsitz und verlor sein europäisches Freizügigkeitsrecht - er musste kurz vor dem Gerichtstermin ausreisen und nach Rumänien zuzrückkehren.

Opfer vor allem in der Baubranche

Doch Ausbeutung trifft nicht nur Menschen aus osteuropäischen EU-Staaten, die in wirtschaftlich stärkeren Ländern wie Deutschland ihr Geld verdienen dürfen. Laut der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) sind auch Arbeitsmigranten aus Drittländern betroffen - und das in ganz Europa.

Während in Deutschland vor allem die Baubranche, Fleischindustrie und Pflege durch unseriöse Subunternehmer Anlass zur Sorge bereiten, stellen laut einer Befragung durch die FRA insgesamt die Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei das höchste Risiko für Ausbeutung dar. Aussagekräftige Zahlen allerdings gibt es nicht. "Diese Verbrechen geschehen im Verborgenen, die Dunkelziffer liegt enorm hoch" betont Katya Andrusz von der EU-Grundrechteagentur.

Ausbeutung verhindern müsse man auf mehreren Ebenen, zum Beispiel könnten Produkte von Arbeitsausbeutung besser kenntlich gemacht werden. "Wir achten auf Fair-Trade-Zertifikate, da könnte auch ein Label wie "Fair Work" für mehr Transparenz sorgen."

Aufklärung gegen Ausbeutung

Ein wichtiger Schritt sei vor allem Aufklärung und das schon in den Heimatländern. Erst wer seine Rechte kenne, könne für diese auch eintreten, meint Dominique John vom Projekt Faire Mobilität. In den bundesweit sechs Beratungsstellen habe man im vergangenen Jahr 6000 Fälle von Arbeitsausbeutung betreut. "Hätten wir doppelt so viele Beratungen, wären es wohl doppelt so viele Fälle."

Dimitru Cubylyass will bis zu seiner Verhandlung Mitte September weiter protestieren. Er kämpft um rund 4000 Euro Lohn und will anderen Rumänen ersparen, was er in Deutschland durchmachen musste. "Ich fühle mich hier in erst Linie als Fremder. Dabei bin ich auch Europäer - doch das wird hier gar nicht wahrgenommen. Sonst wäre das alles gar nicht erst geschehen."