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Falsche Medikamentenstudien: "Lehrreiches Beispiel"

Hannah Fuchs10. Dezember 2014

Das indische Unternehmen GVK Bio soll Medikamentenstudien gefälscht haben. Karl Broich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erklärt im Interview, welche Folgen der Fall haben könnte - und sollte.

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Verschiedene Arzneimittel, wie Tabletten und Kapseln, liegen am Tisch (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Das indische Unternehmen GVK Bio steht unter Verdacht, Studien zu Nachahmerpräparaten - sogenannte Generika - gefälscht zu haben. Nun werden über 100 Medikamentenzulassungen überprüft. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist daran auch beteiligt. Wie genau gehen Sie dort gerade vor?

Karl Broich: In Deutschland haben wir die Zulassungen von 176 Arzneimitteln 28 verschiedener Hersteller geprüft, die im Zusammenhang mit den gefälschten Studien stehen. Mitte November haben wir dann mit der Anhörung der Hersteller begonnen. Die Antwortfrist dafür ist Anfang Dezember abgelaufen. Jetzt haben wir die Rückläufe abschließend untersucht und im Sinne des vorbeugenden Patientenschutzes bei 80 Arzneimitteln das Ruhen der Zulassung angeordnet. Damit dürfen diese Arzneimittel in Deutschland - früher als in anderen EU-Ländern - nicht mehr in Verkehr gebracht werden.

Noch mal einen Schritt zurück: Wo genau ist in dem Fall etwas schief gelaufen - wer ist eigentlich der Böse? GVK Bio oder die Pharmafirmen, die bei diesem Unternehmen die Studien in Auftrag gegeben haben?

Für die pharmazeutischen Unternehmer, die in diesen Ländern diese Institute beauftragen, sind sicherlich auch Kostengründe ausschlaggebend. Trotzdem müssen sie aber sicherstellen, dass diese Studien entsprechend den geltenden Standards qualitätsgesichert durchgeführt werden und verlässliche Daten liefern.

Prof. Dr. Karl Broich
Karl Broich, Präsident des BfArMBild: BfArM

… und warum hat GVK die Studien gefälscht?

Warum die EKGs nicht abgeleitet worden sind oder nicht dokumentiert worden sind, kann die verschiedensten Gründe haben. Wir gehen davon aus, dass fehlende Daten immer dann ohne tatsächliche Grundlage hinzugefügt wurden, sobald Inspektionen drohten. Ob oder wie viel bewusste kriminelle Energie dabei mit im Spiel war, lässt sich nicht beurteilen.

Aber als Zulassungsbehörde macht uns so etwas natürlich misstrauisch. Wenn über so lange Zeit, so systematisch, EKGs gefälscht werden, muss man sich fragen, ob nicht genauso gut auch Laborwerte interpoliert wurden, damit die Bioäquivalenz nachgewiesen wird. Wir als BfArM haben nun große Zweifel an der Qualitätssicherung bei GVK, sodass wir diese Studien im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes nicht mehr als Zulassungsgrundlage akzeptieren können.

Man liest jetzt häufig, dass es sich ja "nur" um Generika handelt. Also Medikamentenkopien… stimmt das?

Das was die französischen Inspektionsteams gefunden haben, betraf in der Tat nur Generika. Bisher gibt es keine Hinweise auf andere Produkte, die involviert wären.

Und bei Studien zu neuen Medikamenten wären solche Fälschungen nicht so einfach möglich?

Nein. Diese Arzneimittel werden wesentlich umfangreicher geprüft, da hier zunächst der grundsätzliche Nachweis für Wirksamkeit und Sicherheit erbracht werden muss, auf den man dann bei späteren Generikazulassungen Bezug nehmen kann. Bei Generikazulassungen geht es dann um die Frage der Bioäquivalenz - also darum, ob der Wirkstoff im Blut dieselbe Konzentration erreicht wie der identische Wirkstoff aus dem Originalpräparat. Deshalb ist das Datenmaterial aus den vielen Studien bei der Zulassung neuer Arzneimittel auch viel umfangreicher.

Wie wird es in der Sache jetzt weitergehen? Auch für GVK und Medikamentenzulassungen in Zukunft?

Ich hoffe, dass das lehrreiche Beispiele sind, und ein gewisses Umdenken in der pharmazeutischen Industrie einsetzt. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass Studien sofort wieder ausschließlich in Deutschland oder Europa durchgeführt werden oder vermehrt dann auch wieder Wirkstoffe in Deutschland hergestellt werden.

Aber: Bei Studien, die in Deutschland durchgeführt werden, haben wir als BfArM sehr gute Einflussmöglichkeiten. Das kommt der Patientensicherheit und Forschungsfreiheit gleichermaßen zu Gute. Auf der anderen Seite sehen wir mit Blick auf unsere hohen Standards bei Patienten- und Probandensicherheit mit Sorge, dass immer mehr Studien in Schwellenländer außerhalb von Europa verlagert werden.

Deshalb führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei, dass wir unsere Anstrengungen im Sinne des Patientenschutzes noch weiter verstärken, mehr Personal in diesen Bereichen einsetzen und gerade in Ländern wie China oder Indien weiter intensiv hinschauen. Dort, wo verstärkt über solche Auftragsforschungsunternehmen die pharmazeutische Industrie bedient wird, müssen wir im Netzwerk der europäischen Behörden präsenter vor Ort sein, damit das Risiko größer und teurer wird - und sich diese Fehlleistungen und Qualitätsmängel eben einfach nicht mehr lohnen.

Was meinen Sie, wird jetzt aus GVK?

Es gibt parallel auch noch das europäische Verfahren, das voraussichtlich im Januar oder Februar nächsten Jahres abgeschlossen werden wird. Ich würde es begrüßen, wenn sich auch auf europäischer Ebene bestätigt, dass gravierende Mängel vorliegen, und dass pharmazeutische Unternehmen daraus Konsequenzen ziehen und sich zukünftig für ausreichend vertrauenswürdige Auftragsfirmen entscheiden.

Wie funktionieren Medikamententests heute?

Prof. Dr. Karl Broich ist Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Aufgaben der Bundesoberbehörde sind die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, die Risikoüberwachung bei Arzneimitteln, Betäubungsmitteln, Grundstoffen sowie bei Medizinprodukten. Außerdem ist Broich Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Das Interview führte Hannah Fuchs.