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Aus dem Osten nach Berlin

Michael Knigge24. September 2002

Die SPD hat im Osten überdurchschnittlich hinzugewonnen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat daher eine stärkere Vertretung ostdeutscher SPD-Politiker im Kabinett gefordert. Was halten Parteienforscher davon?

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Bild: AP

Die Aussichten, dass sich die Zugewinne der Sozialdemokraten in den neuen Bundesländern tatsächlich auch in mehr Ministerposten für die SPD-Politiker aus dem Osten ausdrücken, beurteilen die Experten unterschiedlich. Die SPD habe den ostdeutschen Wählern den Verbleib in der Regierung zu verdanken, weshalb Thierses Ruf nach mehr Gewicht für ostdeutsche SPD-Politiker im Kabinett plausibel sei, sagte der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermeyer im Interview. "Die SPD hat in allen Bundesländern im Osten zugelegt, aber in allen westdeutschen Bundesländern verloren."

Dennoch werde es schwierig, mehr SPD-Politiker aus Ost-Deutschland in die Regierung zu berufen, betont Niedermeyer. "Ich sehe keine Kandidaten, die sofort ministrabel sind, und ich sehe außer dem Justizministerium auch keinen Spielraum für Neubesetzungen, besonders wenn man berücksichtigt, dass die Grünen möglicherweise auch mehr Gewicht im Kabinett beanspruchen."

"Blasser Ostbeauftragter"

Auch Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, hält Thierses Forderung für gerechtfertigt, da es im bisherigen Kabinett mit Gesundheitsministerin Bergmann nur eine sehr geringe Repräsentanz des Ostens gegeben habe. Im Gegensatz zu seinem Kollegen ist Decker zudem der Ansicht, dass die SPD auch über zwei geeignete Kandidaten für höhere Aufgaben verfügt. "Neben dem immer wieder genannten Wolfgang Tiefensee ist Mathias Platzeck ein Hoffnungsträger für die Zeit nach Schröder", sagte er. Statt Kabinettsposten mit Sozialdemokraten aus dem Osten zu besetzen, präsentiert Parteienforscher Niedermeyer eine Alternativvorschlag: "Sinnvoller erscheint mir einen neuen Ost-Beauftragten zu ernennen, zum Beispiel Herrn Stolpe, denn in den letzten vier Jahren blieb das Amt des Ost-Beauftragten und auch dessen Inhaber ziemlich blass."

Die Zukunftsperspektiven der SPD in den neuen Bundesländern beurteilen die Politikwissenschaftler unterschiedlich. Decker zufolge gehen die Sozialdemokraten in Ost-Deutschland rosigen Zeiten entgegen. "Man kann sagen, dass die SPD im Osten zur strukturellen Mehrheitspartei geworden ist. Ich glaube, dass sich da längerfristige Bindungen ergeben haben, die es der Union im Osten sehr schwer machen werden."

"Zentrales Thema: Arbeitslosigkeit"

Vorsichtiger beurteilt Niedermeyer die Wahlaussichten der SPD in Ost-Deutschland: "Die Bindung der ehemaligen PDS-Wähler kann der SPD nur gelingen, wenn sie ihre Haltung zu einem möglichen Irak-Krieg beibehält und die Arbeitslosigkeit deutlich reduziert." Er glaube, dass die SPD bei ihrer Irak-Politik bleibe, sich nicht mit Soldaten an einem Angriff beteilige und den USA Kompensationsgeschäfte anbiete, etwa die Entlastung von US-Truppen in Afghanistan. Schwieriger werde dagegen die Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Dies sei das zentrale Thema der kommenden Legislaturperiode, sagte Niedermeyer. Er fügte hinzu: "Wenn die Regierung dieses Problem in der zweiten Amtszeit nicht in den Griff bekommt, wird sie nicht wiedergewählt."

Wie schnell die ostdeutschen Wähler Sympathie entziehen können, bekam am vergangenen Sonntag schon die PDS zu spüren: Die selbst ernannte Interessensvertretung des Ostens flog aus dem Bundestag. Ein bundespolitisches Comeback ist nach Auffassung von Parteienforscher Decker unwahrscheinlich. "Ich denke, dass die PDS über kurz oder lang dezimiert und zu einer Kleinpartei wird."