1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auftrieb für die Radikalen

Miodrag Soric5. Dezember 2003

Der Anschlag auf den Zug in Südrussland kostete 36 Menschen das Leben, mehr als 150 wurden verletzt. Der Terror-Anschlag wird auch Auswirkungen auf den Ausgang der Wahlen haben, meint Miodrag Soric in seinem Kommentar.

https://p.dw.com/p/4POw

Noch weiß niemand genau, wer hinter dem schrecklichen Bombenanschlag auf einen Pendlerzug im Süden Russlands steckt. Das schafft Raum für Spekulationen. Natürlich vermuten viele, dass Tschetschenen hinter dem terroristischen Akt stecken könnten. Gut möglich, dass es die Tat einer Einzelperson war, also nicht Teil des organisierten tschetschenischen Widerstands gegen die russische Armee im Kaukasus. Viele tschetschenische Mütter haben im Krieg ihre Männer oder Söhne verloren. Russische Sicherheitskräfte haben unzähligen Zivilisten Leid zugefügt. Folglich kommt es immer wieder zu Racheakten. Ein solcher könnte auch der Bombenanschlag auf den Zug sein.

Vertreter der russischen Regierung reagieren mit martialischen Kraftausdrücken auf die Tat - schimpfen, fluchen. Das ist nicht nur unangemessen. Es wirkt hilflos. Tatsächlich lassen sich solche Terrorakte nicht verhindern, nicht einmal mit einem noch größeren Sicherheitsaufgebot im Süden Russlands. Das Einzige, was die russische Staatsmacht gegen derlei Verbrechen tun könnte, hat sie bislang unterlassen: Die Repressionen der russischen Soldateska gegen Zivilisten in Tschetschenien zu unterbinden. Offenbar ist die Armee-Führung dieser Aufgabe nicht gewachsen. Immer wieder berichten Menschenrechts-Organisationen von Übergriffen der russischen Militärs. Und so wird es auch in Zukunft zu solchen terroristischen Rachakten kommen, ganz gleich, welche Drohungen der russische Innenminister jetzt oder in den nächsten Tagen ausspricht.

Der bewaffnete Widerstand gegen die russische Armee in Tschetschenien wurde in den vergangenen Monaten zum größten Teil gebrochen. Der militärische Erfolg Moskaus hat mehrere Väter. Einer heißt Achmad Kadyrow. Im vergangenen Oktober ließ ihn die Regierung in Moskau zum tschetschenischen Präsidenten wählen. Kadyrow befehligt eine Privatarmee von mehreren tausend Soldaten. Sie kämpft an der Seite der russischen Sicherheitskräfte. Militärisch hat der tschetschenische Widerstand Kadyrows Armee und den russischen Sicherheitskräften wenig entgegenzustellen. So verlagert sich der Widerstand auf Terrorakte, wie den jüngsten Bombenanschlag. Wieder kommen Zivilisten ums Leben, diesmal vor allem Russen. Eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt hat sich in Gang gesetzt, die zumindest derzeit niemand stoppen kann oder auch nur will.

Terror schafft in der Gesellschaft eine Atmosphäre der Angst, der Aggression. Das wird auch Auswirkungen auf die bevorstehenden Parlamentswahlen am Sonntag (7.12.2003) haben. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass insbesondere die radikalen Kräfte von diesem Anschlag profitieren werden. Dazu gehört der Politclown Wladimir Schirinowski, der mit seiner Partei die Fünf-Prozent-Hürde bestimmt überspringen wird. Dazu gehört aber auch die Partei "Heimat" von Sergej Glasjew und Dimitrij Rogosin. Auch sie werden wohl in die neue Duma einziehen. Keinesfalls sicher ist das bei demokratisch orientierten Parteien, die zu Verhandlungen mit den Tschetschenen aufrufen, die so etwas wie einen Rechtsstaat aufbauen wollen. Dazu gehört der "ewige Oppositionelle" Grigorij Jawlinski und seine Partei "Jabloko".