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Aufschlag der russischen Tennis-Cracks

Stephan Hille, Moskau17. November 2004

In Deutschland startete in den 80er Jahren mit den Erfolgen von "Bum Bum Boris" ein wahres Tennis-Fieber. Nun erobert dieser Sport auch Russland - und er macht selbst vor Kinderzimmern nicht Halt.

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Es ist noch nicht allzu lange her, da war Tennis in Russland ein Tabu. Tennis galt als elitär, dekadent und bourgeois, nichts für Arbeiter- und Bauernsportler. Lediglich die künftigen KGB-Auslandsspione mussten sich zu Sowjetzeiten im Aufschlag und dem Spiel am Netz üben, um im Westen leichter Kontakte knüpfen zu können.

Anna Kournikowa
Bild: AP

Inzwischen ist Tennis nach Fußball die beliebteste Sportart in Russland. Seit Jahren herrscht ein Tennisboom. Überall im Land sprießen die Indoor-Courts wie die Pilze nach dem Regen. Besonders deutlich ist die russische Tennisrevolution bei den Damen zu sehen. Vergessen ist die russische Tennisgöre Anna Kurnikowa, die vor allem außerhalb der Courts eine gute Figur machte und nicht wegen ihrer sportlichen Leistungen Schlagzeilen machte. Innerhalb kürzester Zeit stürmten Russlands Tennisdamen an die Weltspitze der WTA. Mit Myskina, Dementjewa, Kusnezowa und Scharapowa spielen heute bereits vier Russinnen unter den Top-Ten der WTA.

Vorteil Jelzin

Den Grundstein für den Tenniserfolg legten die Präsidenten Gorbatschow und Jelzin. Dank Glasnost und Perestroika öffnete sich der Blick der Russen über den sowjetischen Tellerrand hinaus. Boris Jelzin selbst fand Gefallen am Tennissport und wurde zum wichtigsten Promoter der einst verpönten Leibesübung. In seinen ersten Amtsjahren sahen die Russen ihren Präsidenten beinahe häufiger auf Asche- und Indoorplätzen dem Ball hinterher hechten als bei den Amtsgeschäften im Kreml.

Jelzin machte den früheren sowjetischen Davis-Cup-Spieler Schamil Tarpischew zu seinem Cheftrainer, Sparing-Partner und Sportminister. Als Präsident des russischen Tennisverbands hat Tarpischew eine einfache Erklärung für den Erfolg des russischen Tennisnachwuchses: "Wir haben die alten sowjetischen Trainingsmethoden bewahrt." Und das heißt nur leicht übertrieben, Trainieren bis zum Umfallen, am besten acht Tage die Woche, täglich 25 Stunden.

Wie im Pionierlager

Inzwischen kann sich die russische Ober- und Mittelschicht ohne Probleme leisten, ihre Sprösslinge in eines der vielen Tenniszentren zu schicken. Zwar versprühen manche noch die Aura eines sowjetischen Pionierlagers, wie zum Beispiel die Hallen des Spartak-Trainingszentrums. Aber das sind nur Äußerlichkeiten, immerhin machten Myskina und Dementjewa in den heiligen Hallen von Spartak ihre ersten Aufschläge.

Ganz anders die Tennis-Akademie "Valery" für Kinder. Von außen bewacht, als ob hier heimlich atomare Mittelstreckenraketen gelagert würden und mit einem Parkplatz, auf dem es ungefähr so chromblitzend glänzt wie auf der neuesten Automobilausstellung. Innen, dann das feinste für die Tennisknirpse. Indoor- und Outdoorplätze mit allen Belagen. Kraftraum, Aerobiksaal, Sauna, Banja und allem, was Körper und Seele sonst noch gut tut.

Das Geld zählt

Ab acht Uhr morgens kloppen hier hunderte von Tenniskids im Alter ab sechs Jahren die Bälle übers Netz. Unter den rund 600 eingeschriebenen Mädchen und Jungen seien laut Direktor Andrej Babajew einige viel versprechende Talente. Hier wächst der Talentnachwuchs für WTA und ATP heran.

Der einzige Mangel: Es gibt es keine besonderen Stipendien für die viel versprechenden Talente. Finanziell führt der Weg an die Tennisspitze in Russland nur über Papas Brieftasche - oder über den rechtzeitigen Umzug ins westliche Ausland.