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EM, Ukraine, Boykott

Roman Goncharenko10. Mai 2012

Die inhaftierte Oppositions-Politikerin Julia Timoschenko hat ihren Hungerstreik beendet. Ein Boykott der Fußball-EM ist damit aber nicht vom Tisch. Die Fans in der Ukraine sind in dieser Frage gespalten.

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Olympia-Stadion in Kiew (Foto: dpa)
Olympia-Stadion in KiewBild: picture alliance/dpa

Sie hungert nicht mehr. Die ehemalige ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko wurde am Mittwoch (09.05.2012) aus einem Gefängnis im ostukrainischen Charkiw in ein Krankenhaus verlegt und erklärte sich bereit, ihren Hungerstreik zu beenden. Diesen hatte sie vor rund drei Wochen aus Protest gegen ihre Haftbedingungen begonnen. Ukrainische Medien berichten, dass die Oppositionspolitikerin von einem Arzt der Berliner Charité behandelt wird.

Mit ihrem Hungerstreik und Berichten über eine angebliche Misshandlung im Gefängnis löste Timoschenko eine Welle der Empörung in Westeuropa und vor allem in Deutschland aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte sich daraufhin für einen europaweiten politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft (EM) in der Ukraine ein, die das Land gemeinsam mit Polen im Juni austragen wird. Die Boykott-Debatte sorgt zunehmend für Irritationen in Kiew.

Julia Timoschenko während einer Anhörung im Gericht in Kiew (Foto: dpa)
Die Bundesregierung setzt sich für Julia Timoschenko einBild: picture-alliance/dpa

EU verstärkt Druck auf Ukraine

"Was für ein Boykott?" Markian Lubkiwskij scheint diese Frage nicht mehr hören zu wollen. "Die Meisterschaft wird bei jedem Wetter stattfinden", sagte der Leiter des ukrainischen Organisationskomitees der Fußball-EM auf einer Pressekonferenz Anfang Mai in Kiew. Auch der ukrainische Ministerpräsident Mykola Asarow gibt sich ahnungslos: "Was sollen diese Debatten über einen Boykott der EM? Wie soll man darauf reagieren?" Die Meisterschaft werde ein Fest für das Land und seine Menschen sein, so Asarow.

Und doch ist ein möglicher Boykott des großen Sport-Ereignisses eines der Top-Themen in den ukrainischen Medien. Denn wenige Wochen vor Beginn der Fußball-EM hagelt es Absagen. Immer mehr europäische Politiker wollen nicht zu den Spielen in die Ukraine reisen - darunter der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Sie wollen damit ein Signal setzen und gegen Demokratiedefizite in der Ukraine protestieren. In erster Linie geht es um das Schicksal von Julia Timoschenko, die in einem international kritisierten Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

Fans sind unterschiedlicher Meinung

Die ukrainischen Fußballfans sind bezüglich eines möglichen politischen EM-Boykotts unterschiedlicher Meinung: Die einen zeigen Verständnis, die anderen kritisieren die Debatte. Beim ukrainischen Fußballverband FFU gibt man sich schmallippig. "Unsere Position deckt sich mit der der Europäischen Fußball-Union UEFA", sagt ein Sprecher. Man solle ein Sport-Ereignis nicht mit Politik vermischen. "Das Wichtigste für uns ist, dass die UEFA mit der Vorbereitung der Ukraine zur EM zu 99 Prozent zufrieden ist." Äußerungen "angesehener Menschen in Europa, die aus diesem Anlass Politik betreiben", seien als "persönliche Meinungen" zu betrachten, so der FFU-Sprecher.

Generell spiele das Boykott-Thema für viele ukrainische Fans keine große Rolle, berichtet der Kiewer Blogger und EM-Experte Andrej Kapustin. Ob Bundeskanzlerin Merkel in die Ukraine komme, sei für die meisten nicht wichtig. Viel schmerzhafter sei die Tatsache, dass nur drei von 16 EM-Teams ihre Trainingslager in der Ukraine aufgeschlagen hätten. Kapustin selbst findet den angedrohten EM-Boykott nachvollziehbar. "Ich glaube, dass Europa durchaus adäquat auf solche Sachen wie selektive Justiz oder zunehmenden Druck auf Medien in der Ukraine reagiert", so der Fußball-Experte.

Maskottchen für die Fußball-Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen
Ein Boykott der EM kommt für viele ukrainische Fans nicht in FrageBild: picture alliance/augenklick

EM-Boykott wirkungslos?

Olexandr Popow, Chefredakteur des Online-Fußballportals "Dynamo Kiew", findet, ein EM-Boykott wäre nur dann sinnvoll, wenn er etwas bewirken würde. "Möglicherweise werden wir uns für den Boykott schämen", mutmaßt der Sportjournalist. Doch er warnt vor der zu hohen Erwartung, dass ein Boykott innenpolitische Veränderungen in der Ukraine herbeiführen könne.

Auch Fußballfans, die in Internetforen über einen möglichen EM-Boykott diskutieren, zeigen Verständnis für Entscheidungen europäischer Politiker, nicht in die Ukraine zu reisen. "Das musste so kommen", heißt es in einem Kommentar. "Ich bin dafür, dass die ukrainische Führung bestraft wird." Ein anderer ruft Europa dazu auf, einen Schritt weiter zu gehen und Bankkonten ukrainischer Politiker im Westen zu sperren. Doch es gibt auch Stimmen, die einen Boykott für falsch halten. "Fans dürfen nicht für Fehler der Regierung bestraft werden", schreibt einer.

Der Blogger Kapustin glaubt, die ukrainische Führung habe mit einer solch heftigen Kritik des Westens auf die Entwicklungen im Fall Timoschenko nicht gerechnet. Aber Anzeichen dafür, dass sich die Regierung in Kiew dem europäischen Druck beugt und beispielsweise Timoschenko freilässt oder nach Deutschland ausreisen lässt, sieht er nicht. "Man müsste abwarten, wann das Big Business die Folgen eines EM-Boykotts zu spüren bekommt", sagt der EM-Experte. Nur dann sei mit einer Wende in der ukrainischen Innenpolitik zu rechnen. Wirtschaftlicher Druck sei wirksamer als die Erklärungen einiger Politiker, nicht zur Fußball-EM in die Ukraine zu reisen.