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Aufholjagd der neuen Länder

9. November 2009

20 Jahre nach dem Mauerfall sind die fünf neuen Bundesländer noch immer die Schlusslichter im innerdeutschen Vergleich. Doch die Aufholjagd geht weiter. DW-WORLD.DE sprach mit dem Commerzbank-Analysten Ralph Solveen.

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Dr. Ralph Solveen (Foto: Commerzbank)
Volkswirt Ralph Solveen: Wirtschaftsstruktur passt sich allgemein an den Westen anBild: Commerzbank

DW-WORLD.DE: Herr Solveen, Sie sind der Frage nachgegangen, welches der neuen Bundesländer sich seit dem Mauerfall am besten geschlagen hat. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?

Ralph Solveen: Wenn man sich den aktuellen Zustand der Wirtschaft anguckt, muss man sicherlich sagen, dass Sachsen im Augenblick am besten dasteht. Dort ist das Bruttoinlandsprodukt am nächsten an das Westniveau herangerückt. Wenn man sich aber anguckt, wer in den letzten Jahren am stärksten aufgeholt hat, so sind es eher Thüringen und Sachsen-Anhalt, die hier die beste Bilanz aufweisen. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hinken weiterhin hinterher.

In Ihrer Studie ist ja sogar die Rede davon, dass Sachsen-Anhalt so eine Art 'Star' unter den neuen Ländern ist, inwiefern?

Sachsen-Anhalt hat gerade in den letzten fünf, sechs Jahren mit am stärksten aufgeholt. Das Bundesland hat die höchsten Wachstumsraten aufgewiesen. Es liegt inzwischen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf - also dem Pro-Kopf-Einkommen, das in dem entsprechenden Land erwirtschaftet wird - an zweiter Stelle nur noch knapp hinter Sachsen. Also, wenn man sich die letzten Jahre anguckt, war Sachsen-Anhalt sicherlich das Land, das sich am besten entwickelt hat.

Wodurch unterscheiden sich die neuen Bundesländer am meisten. Gibt es große Unterschiede?

Eigentlich ist es verwunderlich, wie eng sie beim Pro-Kopf-Einkommen beieinander liegen. Da sind die Unterschiede zwischen den fünf neuen Bundesländern wesentlich geringer, als wir es im Augenblick im Westen haben. Wenn wir uns aber die Wachstumsdynamik anschauen, da geht die Schere schon ziemlich weit auseinander und darum werden wir sicherlich auch in den nächsten Jahren eine deutliche Differenzierung zwischen den Ländern sehen. Hier scheint es so zu sein, dass Thüringen und Sachsen-Anhalt die größte Dynamik aufweisen. Sachsen schlägt sich auch noch ganz gut. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg fallen eher zurück.

War das schon immer so oder gab es in den letzten Jahren Verschiebungen?

Es hat schon Verschiebungen gegeben. So war beispielsweise Thüringen nach der Wende sehr stark vom Einbruch der Industrie betroffen und lag beim Pro-Kopf-Einkommen sogar am Ende der Rangliste. Mittlerweile hat es sich aber wieder nach vorne geschoben und bleibt weiterhin auf der Überholspur. Sicherlich werden wir in den nächsten Jahren weitere Differenzierungen in der Wachstumsdynamik erleben.

Welche Faktoren sind für die Unterschiede zwischen den neuen Bundesländern entscheidend?

Für die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten ist sicherlich der Anteil der Industrien in den einzelnen Ländern entscheidend. Hier sehen wir, dass zum Beispiel in Thüringen inzwischen die Industrie genau so wichtig ist wie in den westlichen Bundesländern. Thüringen wird deshalb auch sehr stark davon profitieren, wenn die Weltwirtschaft wieder in Schwung kommt und als Folge der Export wieder wächst. In Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern spielt dagegen die Industrie kaum eine Rolle.

Warum ist das so?

Das hängt sicherlich von den fundamentalen Standortfaktoren ab. Auch schon vor dem Mauerfall lagen die industriellen Schwerpunkte der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Eine wichtige Rolle spielt auch die größere Bevölkerungsdichte dieser Bundesländer. Und natürlich die geographische Lage: Sie liegen näher an den westdeutschen und westeuropäischen Märkten als Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Wie ist denn der Stand der Aufholjagd der neuen Bundesländer im Vergleich zu den alten?

Im Augenblick liegen die ostdeutschen Bundesländern ungefähr bei einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 70 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Die Aufholjagd war in den letzten Jahren natürlich nicht mehr so dynamisch wie in den ersten Jahren nach der Wende. Damals sind die neuen Bundesländer noch wesentlich stärker gewachsen: zehn Prozentpunkte, zwölf Prozentpunkte schneller als der Westen. Das hat es natürlich in den letzten Jahren nicht mehr gegeben. Allerdings geht diese Aufholjagd kontinuierlich weiter. Die ostdeutschen Bundesländer wachsen seit der Jahrtausendwende tendenziell schneller als die westdeutschen. Sie holen also weiter auf. Wir sind - wie gesagt - im Augenblick bei 70 Prozent des Westniveaus. Allerdings ist es natürlich auch fraglich, ob wir diese 100 Prozent wirklich jemals erreichen, weil die neuen Länder eben auch andere strukturelle Voraussetzungen haben. Die Zielmarke sollte hier nicht der Durchschnitt der westdeutschen Länder insgesamt sein, sondern eher der Durchschnitt von vergleichbaren Bundesländern im Westen. Wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Das sind sicherlich eher die Zielmarken für diese Länder als Hessen und Baden Württemberg.

Stichwort 'Blühende Landschaften': Sehen Sie die in den neuen Bundesländern?

Das ist sicherlich unterschiedlich. Man muss das einmal betrachten vor dem Hintergrund: Wo waren wir 1991? Da hat sich natürlich unglaublich viel getan. Die neuen Bundesländer haben aufgeholt, sie holen immer noch auf. Wir haben auch einige Städte, die inzwischen vom Pro-Kopf-Einkommen sogar über dem gesamtdeutschen Durchschnitt liegen. Aber insgesamt sind sie immer noch weit von dem Niveau entfernt. Es ist eben fraglich, ob das tatsächlich realistisch zu erwarten war, dass sie heute schon auf einem ähnlichen Stand wie vergleichbare Länder im Westen sein konnten.

Ralph Solveen ist stellvertretender Leiter Economic Research bei der Commerzbank und Mitautor der Studie "20 Jahre nach dem Mauerfall: Neue Bundesländer – wer hat sich am besten geschlagen?"

Das Gespräch führte Klaus Ulrich

Redaktion: Zhang Danhong