Aufgelesen
16. Juli 2010Herrlich - draußen liegen, Sommer riechen und interessante Neuerscheinungen auf dem großen Markt der Literatur genießen. Diesmal sind welche dabei, die haben eine ganz besondere Form.
Thomas Mann legt Platten auf
Bei Neuerscheinung Nummer eins zum Beispiel, mischt unser Nationalschriftsteller Thomas Mann mit. Der Südwestdeutsche Rundfunk hat ihn 1954 ins Studio eingeladen als Gast der Sendung "Wer wünscht was?". Thomas Mann durfte eine Stunde lang seine Lieblingsmusik auflegen und erzählen, warum er sie gerne hört. Allerdings kam der Gute nicht mit einer Kiste Schallplatten unterm Arm ins Studio und legte Bill Haley auf. Er war 1954 immerhin schon fast achtzig Jahre alt und seine Lieblingsmusik war nicht die, die in den Hitparaden gespielt wurde. Thomas Mann schwärmte für Claude Debussy, Beethoven und Richard Wagner. So formuliert er das:
"Nun, meine Herrschaften, streift mein kleines Programm den französischen Impressionismus und zwar in dem schönen Stück von Claude Debussy à
l’après midi d’un faune."
Schon beim Lesen merkt man, wie umständlich feierlich Thomas Mann sich ausdrückte, aber den wirklichen Hauch der Geschichte spürt man erst, wenn man es hört. Kaum zu glauben, dass Radio mal so klang. Die Festreden-Ansprache wirkt im Vergleich zu heute fast komisch, jagt einem aber im nächsten Moment Gänsehautschauer der Faszination über den Rücken.
Kluge Frauen machen Geld
Nach Entspannung mit Thomas Mann – macht es wirklich Freude sich durch den Bildband "Kluge Geschäftsfrauen" zu blättern.
"Die Startbedingungen, unter denen die in diesem Buch vorgestellten Frauen ihre Geschäftsideen verwirklichten und zum Erfolg führten, sind sehr unterschiedlich. Einige schufen aus dem Nichts ein Millionenunternehmen."
22 Frauen aus dem 18. Jahrhundert bis heute, deren Lebensgeschichte laut Klappentext, "Mut machen soll, die eigenen Ideen umzusetzen" – im großzügigen Bildbandformat mit Kapitelüberschriften wie...
"Gegen jeden Widerstand - Willensstarke Witwen – Das Geschäft mit der Schönheit."
Frauen wie Marie Tussaud, die mit ihrem Wachsfigurenkabinett erfolgreich war. Beate Uhse, die mit Sexshops Tabus brach. Oder Anna Sacher, die das Hotel Sacher in Wien zur Institution machte. Liest sich zum neidisch werden gut. Aber leider etwas knapp. Hürden und Hindernisse werden angesprochen, man kann nur erahnen, wie mühevoll manche der Karrieren waren. Die zahlreichen Bilder, das Layout und die umfangreiche Literaturliste entschädigen aber dafür. Perfekt für die Zierde des heimischen Couchtisches, um ab und an drin blättern und sich freuen.
Peter Kurzeck beobachtet das Leben
Zum Abschluss noch die tolle Idee des supposé Verlages. Er lässt Schriftsteller Literatur erzählen zu der es keine Manuskripte gibt. Durch geschickte Interviews und sensibles Zusammenschneiden entstehen Hörbücher, die es aber auch wirklich nur zum Hören gibt. Diesmal: Da fährt mein Zug" - des Schriftstellers Peter Kurzeck:
"Der Zug stand immer noch und die Türen standen immer noch offen und ich ging raus auf den Bahnsteig. (...) Und ich denke wie still es ist. (...) und stehe auf diesem Bahnsteig und dann fängt der Zug zu fahren an. Und in Frankreich ist es nicht so, dass sie die Züge ansagen und der Zug danach unmittelbar fährt, sondern man sagt die Abfahrt an und dann steht der Zug manchmal noch sechs, sieben Minuten und dann rollt er ganz sacht an."
Das ist der Kern der Geschichte. Der Nachtzug nach Avignon fährt in Straßburg ohne Peter Kurzeck ab, aber mit seinem ganzen Gepäck. Wie das passieren konnte und wie er versucht, das Gepäck wieder zu bekommen, das hätte Peter Kurzeck auch in zehn Minuten erzählen können – er macht es aber in einer Stunde. Nicht, weil er so langsam spricht, sondern weil er so ausführlich die Gegebenheiten seiner regelmäßigen Reisen per Nachtzug von Straßburg nach Avignon beschreibt, er erzählt ein Stück seiner Biografie.
Grandios beobachtet Kurzeck sich selbst, er analysiert in dieser kurzen Erzählung warum er wohl den Zug verpasst hat, was ihm Straßburg bedeutet, welche Faszination ein Hotel namens Bristol auf ihn ausübt und verliert sich in unendlichen kleinen Nebenerzählungen bevor er zur Hauptgeschichte zurück kommt. Dabei wird es nicht langweilig zuzuhören – wahre Erzählkunst.
Autorin: Marlis Schaum
Redaktion: Gabriela Schaaf
Thomas Mann: "Mein Wunschkonzert. Thomas Mann spricht über Musik, die er gern hört.", Der Hörverlag, 1 CD, Gesamtlaufzeit 57 Minuten, ISBN 978-3-86717-564-7, 14,95 Euro
Claudia Lanfranconi und Antonia Meiners: "Kluge Geschäftsfrauen.", Elisabeth Sandmann Verlag, 160 Seiten, ISBN-978-3-938045-22-0, 25,70 Euro
Peter Kurzeck: "Da fährt mein Zug.", Konzeption und Regie: Klaus Sander, Erzähler: Peter Kurzeck, supposé Verlag, 1 CD, Gesamtlaufzeit 62 Minuten, ISBN 978-3-932513-92-3, 16,80 Euro