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Auferstanden aus Ruinen?

28. Juni 2004

- Nach Spidlas Rücktritt könnten die Kommunisten in Tschechien eine größere Rolle spielen

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Bonn, 28.6.2004, DW-RADIO, Vladimir Müller

Tschechiens sozialdemokratischer Ministerpräsident Vladimir Spidla gibt auf: Am Samstag (26.6.) verzichtete er auf seinen Parteivorsitz, seinen Rücktritt als Regierungschef will er offiziell am Mittwoch (30.6.) einreichen. Als Nachfolger wird sein Stellvertreter Stanislav Gross gehandelt. Vladimir Müller kommentiert.

Eine Überraschung war es nicht. Spidla stand bereits seit Monaten unter Beschuss - vor allem aus den eigenen Reihen: Der linke Flügel in der an Uneinigkeit kaum zu übertreffenden Sozialdemokratischen Partei Tschechiens (CSSD) attackierte Spidla vor allem wegen seiner Sparpolitik. Doch Vorgaben aus Brüssel und die Forderungen der kleineren Koalitionspartner - Christdemokraten und Liberale - nach radikaleren Wirtschaftsreformen ließen dem 53-Jährigen keine andere Wahl. Im Parlament konnte er sich nur auf eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen verlassen. Ein Regierungsbündnis mit den nach wie vor nicht gewendeten tschechischen Kommunisten einzugehen, stand für den gelernten Historiker Spidla bis zum Schluss nicht zu Debatte.

Der als entscheidungsschwach geltende Politiker ohne Charisma wurde auch von seinem Vorgänger Milos Zeman immer wieder scharf angegriffen: Der volkstümliche Zeman, der die tschechischen Sozialdemokraten überhaupt erst regierungsfähig gemacht hatte, wollte vor über einem Jahr Staatspräsident werden - Spidla unterstützte aber andere Kandidaten, die dann jedoch erfolglos blieben. Zum Präsidenten wurde schließlich der Kandidat der konservativen Demokratischen Bürgerpartei ODS, Václav Klaus, gewählt. Zeman und seine Anhänger in der Partei haben das nicht vergessen.

Zum Show-down ist es dann am letzten Samstag (26.6.) gekommen: Spidlas Widersacher konnten sich nun auf einer Sitzung der erweiterten Parteiführung durchsetzen: Nur 66 von 180 Delegierten sprachen ihrem Vorsitzenden das Vertrauen aus. Entscheidend war dabei offensichtlich das extrem schlechte Abschneiden der Regierungspartei bei den Europawahlen vor zwei Wochen: nur knapp neun Prozent der tschechischen Wähler gaben ihr die Stimme, nur zwei von 24 Sitzen in Brüssel fielen den Sozialdemokraten zu. Die Europa-kritischen Konservativen und die EU-feindlichen Kommunisten heimsten dagegen zusammen 15 Sitze ein. Eine bittere Niederlage für Spidla, der den EU-Beitritt Tschechiens für den wichtigsten Erfolg seiner Regierungszeit hält.

Den weiteren Lauf der Dinge wird nun Präsident Václav Klaus bestimmen, der schon "komplizierte Verhandlungen" ankündigte. Die sauberste Lösung - Neuwahlen - hält er dabei nur für den letzten Ausweg. Seine Partei ODS, die bisher lautstark zum Sturz der sozial-liberalen Regierung aufrief, ist nun - wo sich die Chance zur Machtübernahme abzeichnet - zurückhaltender geworden. Denn auch sie käme nicht umhin, notwendige, aber unpopuläre Reformen mit Einschnitten in das soziale Netz zu Ende zu führen. Zu dieser undankbaren Aufgabe möchte sie lieber den politischen Gegner zwingen, um später selbst die erhofften Erfolge der Reformen für sich zu beanspruchen.

Der neue Mann an der Regierungsspitze in Prag könnte deshalb Spidlas Stellvertreter Stanislav Gross heißen. Den Parteivorsitz hat der 34-jährige bisherige Innenminister mit dem Macher-Image bereits übernommen, die Führung der tschechischen Sozialdemokraten steht hinter ihm. Das Regieren könnte Gross aber noch schwerer fallen als seinem glücklosen Vorgänger. Denn er möchte am liebsten eine Minderheitsregierung bilden, die sich auf wechselnde Mehrheiten stützt.

Eine bequeme Mehrheit könnte der dynamische Gross nur im Zusammengehen mit den Kommunisten erreichen. Die Polit-Dinosaurier, die nichts bereut haben und mit den Rezepten aus der Vorvergangenheit aufwarten, haben sich mittlerweile zu einer Protestpartei mit beachtlichem Erfolg gemausert: Im Prager Parlament stellen sie fast 19 Prozent der Abgeordneten. Für ihre stille Unterstützung müsste der neue Regierungschef Gross allerdings Zugeständnisse machen: Eine Drosselung des Reform-Tempos wäre nur eine Folge. Die andere: In Tschechien würde wieder die Partei den Ton mit angeben, die schon vor 15 Jahren zum Teufel gejagt wurde. Ein Trauerspiel, das es nicht wert ist, wieder aufgeführt zu werden. (fp)