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Auf jeden Fall

Redaktion: Gabriela Schaaf16. März 2009

Ich klingele, die Tochter unserer Bekannten öffnet. Ich sage: "Sind die Eltern zu Hause?" Die Tochter sagt: "Auf jeden Fall." Darauf bekomme ich eine Krise.

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Der Schriftsteller Burkhard Spinnen. Foto privatBild: privat

"Nein", sage ich, wahrscheinlich etwas zu laut, "deine Eltern sind nicht auf jeden Fall zu Hause. Hätten wir jetzt zum Beispiel den Fall, dass sie im Büro wären, so wären sie eben im Büro und nicht zu Hause." Darauf die Tochter: "Hä?"

Ein heimliches Modewort

"Auf jeden Fall" ist einer der Modeausdrücke, die still und unbemerkt, dafür aber um so gewaltiger und raumgreifender Karriere machen. Momentan scheint es, als könnte "auf jeden Fall" in der Lage sein, vollends das Wort zu verdrängen, für das es meistens gebraucht wird: nämlich das schlichte "ja".

Nun habe ich für dieses Phänomen durchaus Verständnis. In den meisten Sprachen wird die Zustimmung oder Bejahung mit einem sehr einfachen und schmucklosen Wort ausgedrückt: ja, si, oui, yes. Das spart Zeit, kann aber unter Umständen ein bisschen schwach oder unhöflich wirken. Also sagt man je nachdem, wer einen gefragt hat und wie emphatisch man "ja" sagen will: "ja sicher"; "ja bestimmt"; "ja genau". Vielleicht sogar: "So ist es"; "So soll es sein"; "Untertänigster Diener" oder "Wie Ihre Lordschaft befehlen". Es gibt viele Möglichkeiten, ein "ja" aufzuwerten.

Wer allerdings zu der Lösung "auf jeden Fall" greifen will, kommt um ein bisschen Nachdenken nicht herum. Als Antwort auf die Frage "Ziehst du morgen das rote Kleid an?" kann ein "auf jeden Fall" durchaus sinnvoll sein; etwa wenn man sich weder durch das Wetter noch durch die Nörgelei von Tante Else davon abhalten lassen will, das rote Kleid zu tragen. Auch ein "Liebst du mich?" lässt sich unter Hintansetzung gewisser Umgangsformen noch sinnvoll mit "auf jeden Fall" beantworten. (Wenngleich ich es vor dem Traualtar nicht verwenden würde.)

Ein Schlag gegen die Logik

BdT Deutschland Wetter Regen in Stuttgart
Regnet es draußen?Bild: AP

Doch Fragen wie "Regnet es draußen?", "Hast du die Jacke in die Reinigung gebracht?" oder "Hattet ihr ein schönes Wochenende?" kann man unmöglich mit "auf jeden Fall" beantworten, ohne dabei mittelschwere bis sehr schwere Verstöße gegen die Logik in Kauf zu nehmen.

Ich bitte also nicht nur die Tochter unserer Bekannten, sondern Sie alle, überall dort, wo Sie mich hören oder lesen: Seien Sie in jedem Fall, in dem Sie "auf jeden Fall" verwenden wollen, aufmerksam und kritisch. Trauen Sie sich, "ja" zu sagen, wenn Sie "ja" meinen. Und bewahren Sie "auf jeden Fall" für den Fall der Fälle.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Gerade ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).