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Auf Fotosafari in Deutschland

Frederike Müller29. August 2013

Stillgelegte Krankenhäuser, verlassene Militärgelände und Fabriken: Hobbyfotografen entdecken sogenannte Lost Places als Bildmotive. Bei geführten Touren können sie dieser Leidenschaft ganz legal nachgehen.

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Teilnehmer der Fotosafari laufen um die Ruine der Papierfabrik herum
Bild: Lars Wendt

"Stop! Durchgang verboten! Sonst: Konsequenz", steht auf dem Holzschild vor der eingezäunten Fabrikruine im Stadtgebiet von Eberswalde. Neben der fetten Schrift prangt künstlerisches Beiwerk: eine sorgfältig gezeichnete, kleine schwarze Bombe und ein finsteres Augenpaar. Willkommen sind Gäste hier nicht. Ein leises "Klick, klick" ist zu hören - kein Gewehr, das spannt; nur der Fotoapparat eines Teilnehmers, der das durchaus ernst gemeinte Kunstwerk dokumentiert. "Macht euch keine Sorgen", beruhigt Tourguide Thilo Wiebers. "Die Anwohner wissen, dass wir hier sind."

Für das Berliner Unternehmen go2know führt Wiebers eine Gruppe von sieben Frauen und 13 Männern durch das Gelände der ehemaligen Papiermühle. Die einen sind aus deutschen Großstädten angereist, andere Teilnehmer kommen aus den Niederlanden und Griechenland. Gemeinsam wollen sie die besondere Stimmung des verfallenen Ortes mit ihrer Kamera einfangen. Vor 100 Jahren schlug in der Fabrik das industrielle Herz der Papierproduktion für die nahgelegene Großstadt Berlin. Als 1994 die Walzen und Pressen für immer verstummten, verfiel das Gebäude. Der Zutritt ist für den Einzelnen deshalb verboten.

Totale der Papierfabrik mit einer Gruppe von geführten Fotografen
Die Papierfabrik in Eberswalde: Einer von zehn Orten, an denen go2know Fototouren anbietetBild: Lars Wendt

Eine Frage der Sicherheit
Tourteilnehmerin Andrea erzählt, wie sie früher oft auf eigene Faust illegal in verlassene Gebäude ging, die offen standen, und fotografierte: "Manchmal hat mir jemand im Internet einen Tipp gegeben. Auf der Seite der Fotocommunity Panoramio habe ich dann nach Fotos von diesem Ort gesucht. Und die haben oft die Koordinaten gleich mitgeliefert." Doch das wurde ihr schließlich zu unsicher. "In den Foren berichten einzelne Fotografen, dass sie überfallen worden sind.", sagt die Hamburgerin.

Blick durch eine Mauer ins zerfallene Innere der Fabrik
Morbide Motive: Der Schönheit des Verfalls auf der SpurBild: Lars Wendt

Wegen derartiger Risiken bietet der Veranstalter go2know sichere Gruppentouren durch verlassene Gebäude an. Im Vorfeld besorgt er eine offizielle Genehmigung und kann so das Gelände schon vor der Tour abgehen. Die Teilnehmer bewegen sich dann legal durch die Fabrik. Wer sich angemeldet und vorab bezahlt hat, erhält die genauen GPS-Daten der verfallenen Mühle.

Eintritt in die Vergangenheit
Über zugewachsene Wege erreicht die Gruppe den Eingang der Fabrik. Mit Fotoapparaten, Stativen und Taschenlampen bewaffnet, flattern sie wie aufgescheuchte Hühner zunächst in die finsteren Keller der einstigen Papiermühle hinein. Unter dem Gebäude rauscht noch immer kraftvoll der Bach hindurch, dessen Wasser einst die Mühlen in Bewegung setzte. Ein Tosen, das Gewölbe und Hallen erfüllt. „Hallo, kommt mal zurück, wir gehen erst in die andere Richtung“, schreit Tourguide Thilo Wiebers dagegen an.

ein grünes Gesicht als Graffiti in der Papiermühle Eberswalde
Im Innenraum: Kunstwerke erzählen urbane GeschichtenBild: Lars Wendt

Egal wo man hinschaut, alles ist marode. Zerbrochene Fensterscheiben liegen herum. Von einer alten Lagerhalle nebenan sind nur noch die Außenmauern und ein paar Dachreste übrig. Darin hat sich am Boden ein kleiner See mit Algen gebildet, auf dessen Oberfläche sich das Sonnenlicht spiegelt. Teilnehmerin Andrea nimmt ein absurdes Bild ins Visier: An einer abgeknickten, bis kurz über den See hängenden Dachlatte hat eine Glühbirne die Zeit völlig unbeschadet überstanden. Als könne sie gleich inmitten der Zerstörung anfangen zu leuchten. Klick. "Jetzt spricht mich das gelbe Graffiti da hinten an. Könnte interessant sein“, meint die Hamburgerin - und ist weg. Überall in der Papiermühle sind sogenannte Tags, also Graffiti-Namenszüge, Wandgemälde und Rauminstallationen zu sehen. Sie entstanden bei verschiedenen Kunstprojekten der vergangenen Jahre.

Nimm nur Bilder mit, hinterlasse nichts als Fußspuren!
Seit einigen Jahren haben Hobbyfotografen auf der ganzen Welt verfallene, eigentlich unzugängliche Orte als ästhetisch-morbide Motive entdeckt. Diese Spielart der Fotografie nennen sie "Urbexen" oder "Urban Exploring". Ihre Goldene Regel: "Take nothing but pictures, leave nothing but footprints."

Detail von Händen, die einen Fotofilm in den Fotoapparat legen
Alte Schule: Erich Bergmann fotografiert noch mit FilmBild: Lars Wendt

Neben der Faszination für den Verfall treibt viele der Nervenkitzel an, ebenso wie Geschichtsinteresse. Über das Internet tauschen sie Fotos der Lost Places aus, etwa auf dem Blog Rottenplaces. Untereinander gibt es sogar richtige Wettbewerbe, wie Teilnehmer Wolfgang aus den Niederlanden berichtet: "Ich bin in Holland in einem professionellen Fotoclub. Da schieß ich mit meinen Bildern immer den Vogel ab."

Umstrittenes Hobby

Doch es gibt auch Kritik, weiß Tourguide Wiebers : "Streng genommen ist 'Urbexen' Hausfriedensbruch, wenn die Fotografen keine Genehmigung beim Besitzer eingeholt haben." Auch an der Papiermühle sind die Nachbarn wachsam. Eine Frau schimpft über den Zaun den Teilnehmern entgegen, sie hätten dort nichts zu suchen. Schnell erklärt der Tourleiter, dass sie eine offizielle Genehmigung haben. Die Anwohnerin zieht ab.

Während die Teilnehmer knipsen, hat Tourleiter Thilo Wiebers draußen ein Zelt aufgebaut und kühle Getränke auf den Tisch gestellt. Entspannt lassen sich die Fotografen schließlich in die Campingstühle fallen. Einige kennen sich bereits von anderen Touren, die Stimmung ist entsprechend freundschaftlich. Und so bleibt am Ende des Tages noch Zeit, in Ruhe zu fachsimpeln.