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Suche nach Freund und Feind

Nastassja Shtrauchler23. Oktober 2015

Vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht müssen sich zwei Männer verantworten, weil sie in Syrien für eine Terrororganisation gekämpft haben sollen. Während der eine schweigt, leidet der andere.

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Deutschland Prozess gegen IS Helfer Düsseldorf OLG
Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Sebastian B. gibt ein jämmerliches Bild ab. Selbst durch die zwei dicken Glaswände hindurch sind die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen zu sehen. Die Schultern hat er eingezogen. Mit seiner Zottelfrisur und dem bleichen, unrasierten Gesicht macht B. eher den Eindruck eines alternativen Studenten als den eines Mannes, der sich hier unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer militanten Islamistengruppe in Syrien verantworten muss.

Mitangeklagter und Sitznachbar Mustafa C. scheint aus einem anderen Holz geschnitzt. Der 27-Jährige sitzt recht entspannt im Prozessgebäude. Während die Anklageschrift verlesen wird, wirkt C. sogar manchmal gelangweilt und auch amüsiert. Ein Mann, der sich seiner Sache offenbar sicher zu sein scheint. Sicher, weil er unschuldig ist oder weil er weiß, dass nicht nachgewiesen werden kann, was ihm vorgeworfen wird?

Maskierte Männer mit erhobenen Gewehren (Foto: picture alliance/ZUMA Press/Medyan Dairieh)
Den beiden Angeklagten werden Verbindungen zur Terrororganisation "Islamischer Staat" vorgeworfenBild: picture alliance/ZUMA Press/Medyan Dairieh

Nahkampf-Ausbildung und Waffen-Training

Am 22. Januar wurden die beiden deutschen Syrien-Rückkehrer an ihren Wohnorten in Mönchengladbach und Herford verhaftet. Seitdem sitzen sie in Untersuchungshaft. Sebastian B. alias Uma inzwischen in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal, Mustafa C. alias Abu Kattata in Bochum. Im Juni erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sie wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Der Hergang liest sich wie ein Abenteuerroman. Beide sollen zunächst in die Türkei gereist und dann von Schleusern über die Grenze nach Syrien gebracht worden sein, Sebastian B. im August 2013, Mustafa C. etwas früher, im März desselben Jahres. Es folgten laut Anklageschrift eine mehrwöchige Nahkampf-Ausbildung, Training an der Waffe und die aktive Teilnahme an Kampfeinsätzen. Sebastian B. soll sich sogar als potenzieller Selbstmordattentäter auf einer Liste eingetragen haben.

Das alles taten sie angeblich im Namen einer Untergruppe, die sich "Muhajirun Halab" (Anm. der Redaktion: Auswanderer von Aleppo) nannte und zum Kampfverband der "Jaish al-Muhajirin wal Ansar" (JAMWA) (Anm. der Redaktion: Armee der Auswanderer und Helfer) gehörte. Viele der Mitglieder stammen aus dem Kaukasus oder Europa. Etwa im November 2013 soll ihr Anführer Abu Umar al-Shishani einen Treueeid auf Abu Bakr al-Baghdadi geschworen haben, und so ging ein Teil in der Terrororganisation Islamischer Staat auf.

Ob das für Sebastian B. der entscheidende Impuls gewesen ist, nach Deutschland zurückzukehren, kann man nur vermuten. Mitte November 2013 jedenfalls, nach nicht ganz drei Monaten, kehrte er dem syrischen Kampfgebiet den Rücken und betrat wieder deutschen Boden. Mustafa C. soll es noch bis September 2014 ausgehalten haben und sich zwischenzeitlich zum stellvertretenden Anführer einer kleinen Kampftruppe aufgeschwungen hatte, falls sich die Anklagepunkte bewahrheiten.

Mutlu Günal, Verteidiger von Mustafa C. (Foto: DW/N. Shtrauchler)
Mutlu Günal, Verteidiger von Mustafa C.: "Unsichere Beweismittel"Bild: DW/N. Shtrauchler

Ein verurteilter Dschihadist als Zeuge

Aufschluss darüber sollen vor allem Zeugen liefern, ein "unsicheres Beweismittel", wie Mutlu Günal, Verteidiger von Mustafa C., sagt. Das würde noch unsicherer, wenn es auf Zeugen beruhe, die Aufklärung leisteten, um sich selbst besser darzustellen. Günal spielt auf Ismail I. an. Der Mann war im März dieses Jahres wegen seiner Beteiligung an Kampfeinsätzen in Syrien bereits verurteilt worden. Vier Jahre und sechs Monate hatte er dafür bekommen und tue nun alles, um einen Strafnachlass zu erwirken, so Günal. Ismail I. habe so oft gelogen, dass es für das Gericht schwierig werde. Deswegen wirke sein Mandant, Mustafa C., auch so optimistisch.

Der heute 27-Jährige hatte sich 2008 in Mönchengladbach radikalisiert, war in der Folge bei den Eltern ausgezogen und hatte sich 2011 einer salafistischen Gruppierung in Deutschland angeschlossen. Auf die Frage des Gerichts nach einer Einlassung antwortet sein Anwalt, der bereits einige mutmaßliche Syrien-Kämpfer vertreten hat, mit "nein". C. werde "sich schweigend vertreten". Sebastian B., so glaubt er, werde hingegen irgendwann einknicken. Der Junge halte den Druck in Haft offenbar nicht aus. "Jeder Jeck ist anders", fügt Günal lapidar hinzu.

Sebastian B. wirkt in der Tat eher wie ein Opfer denn wie ein blutrünstiger Dschihadist, Opfer vielleicht eines verkorksten Lebens. Sein Anwalt, Michael Murat Sertsöz, möchte nicht auf die Details eingehen, doch es fallen einige Stichworte: Missbrauch, Drogen, Pflegefamilien. Für die kommenden Verhandlungstage will er den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragen. B. habe "keine schöne Jugend gehabt". "Da ist man eben empfänglich für Heilsbotschaften", sagt er und versucht damit offenbar die Radikalisierung und den Anschluss seines Mandanten an die Salafisten-Szene zu erklären.

B. war vor etwa fünf Jahren zum Islam konvertiert. Inzwischen hat er Frau und Kind. Durch die Inhaftierung habe die Ehe bereits eine Krise durchgemacht. So habe seine Frau ihn kürzlich damit konfrontiert, kein Kopftuch mehr tragen zu wollen. Sein Mandant, so Sertsöz, habe darauf überraschend cool reagiert. Von einer Radikalisierung könne er nichts feststellen. Ohnehin könne man B. nichts vorwerfen. Angesichts der Gräueltaten durch den syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad, habe er - wie viele andere Muslime auch - seinen Glaubensbrüdern helfen wollen. "Selbst wenn er gekämpft hätte, müsste man ihm erklären, was er falsch gemacht hat", so Sertsöz.

Lieber Freunde schaffen

So sieht das auch Bernhard Falk. Der verurteilte Linksterrorist und Schlüsselfigur in der deutschen Salafisten-Szene war zum Prozessauftakt gekommen. Akribisch notierte er sich zunächst die Namen aller Beteiligten. Er gehe zu allen muslimischen Gefangenen, so Falk. Sebastian B. will er sogar den Anwalt vermittelt haben.

Menschen, die sich wie vielleicht Sebastian B. am Kampf gegen Assad beteiligt hätten, würden künftig "als Freiheitskämpfer von der Geschichte gewürdigt werden", sagt Falk. Er verstehe nicht, wieso die Bundesrepublik jene so hart bestrafe, die sich gegen die Diktatur in Syrien stellten. Wenn Deutschland klug wäre, würde es versuchen, sich Freunde zu schaffen. "Wenn die hier rauskommen, glauben Sie, die sind dann entradikalisiert?", sagt Falk, und es klingt nicht nach einer Frage.