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Was vom Markte übrig blieb

28. August 2009

Sturm im Wasserglas? Oder Revolution auf dem Buchmarkt? Für Aufregung sorgte die Ankündigung des Suhrkamp-Verlags, eine eigene Krimireihe zu starten. Zwischenfazit: Suhrkamp kocht nicht übel – aber auch nur mit Wasser.

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Fuß mit Identifikationsband am großen Zeh (Foto: picture-alliance / photoshot)
Bild: picture-alliance / photoshot

Es war eine Überraschung, als im Herbst 2008 in die Krimiszene durchsickerte, dass ausgerechnet der Suhrkamp-Verlag eine eigene Krimireihe plant. Kann Suhrkamp Krimi? Kann das gut gehen, wenn der herausragende Verlag für anspruchsvolle Literatur und Geisteswissenschaften sich an die Abteilung Unterhaltung wagt, fragten sich Autoren, Kritiker, Lektoren, Verleger.

Wie gut kann Suhrkamp Krimi?

Buchcover Der deutsche Freund von Christian Dorph und Simon Pasternak (Foto: Suhrkamp-Verlag)

Sommer 2009: Zeit ein erstes Fazit zu ziehen. Nicht viel und zugleich doch nicht wenig Besonderes bot der erste veröffentlichte Suhrkamp-Krimi "Der deutsche Freund" von Christian Dorph und Simon Pasternak, der die dänische Geschichte der 1940er bis 1970er Jahre aufarbeitet. Mit Hilfe eines ungestüm-poppigen Plots gehen die Autoren so grundverschiedene Themen an wie Missbrauch von Migrantenkindern, Spionageaktivitäten aus der Zeit des Kalten Krieges und die Affinität der dänischen Gesellschaft zum Nationalsozialismus zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Umstandslos haben sie daraus einen abgedrehten Krimicocktail gemixt. Themen mit Sprengkraft immerhin, die allerdings von anderen Krimi-Skandinaviern längst umfassend aufgearbeitet wurden.

Nichts Neues aus dem hohen Norden also. Trotzdem ein mutiger Akt, eine solch exponierte Krimi-Reihe mit einem schwulen Hauptermittler beginnen zu lassen, der vor nicht allzu langer Zeit sein Coming Out hatte, aber bereits in der homoerotischen Identitätskrise steckt.

Cover mit blutroten Elementen

Viel mehr jedoch als am Inhalt lässt sich, mit etwas Abstand betrachtet, an der Covergestaltung dieses ersten Bandes ablesen, wo Suhrkamp mit seiner Krimireihe hin will: In den Bahnhofsbuchhandel. Mit schwarz-weiß-blutroten Gestaltungselementen ist das Buch anderen aktuellen Krimibestsellern zum Verwechseln ähnlich. Noch mehr also vom allgegenwärtigen Mainstream? Oder vielleicht doch eine eigene, kreative, vielleicht sogar avantgardistische, in jedem Fall aber hochwertige Krimikultur?

Buchcover Pacific Private von Don Winslow (Foto: Suhrkamp-Verlag)

Die folgenden Titel der Reihe bilden jedenfalls so ziemlich repräsentativ jene Themen und Erzählgebiete ab, die in letzten Jahren auf dem deutschen Markt gut funktionierten: Sie erzählen ihre Geschichten historisierend, aus weiblicher Perspektive, italienisch, nach Australien entführend, humorig, anarchisch und, und, und.

Ein Programm, dessen Ausrichtung so wirkt, als hätte der Vertrieb entscheidend daran mitgearbeitet, und zwar auf durchaus intelligente Weise: Krimi-Feinschmecker, die nach kulinarischen Besonderheit suchen, werden zwar hier und da die Würze und die letzte Kreativität vermissen, aber auf der Karte ist immerhin alles zu finden, was drauf sein sollte, so dass man auch mal die eine oder andere Fertigsauce in Kauf nehmen kann.

Bestes und überzeugendstes Gericht: "Pacific Private", der Surferkrimi von Don Winslow, Thema auch hier: sexuelle Gewalt an Einwanderer-Kindern in den USA, nicht sehr originell geplottet zwar, aber sehr reif, stil- und dialogsicher geschrieben. Ein Roman, dem man das Prädikat Kriminal-Literatur für Feinschmecker innerhalb der Kandidaten des aktuellen Programms am ehesten verleihen würde. Winslow ist ein großer Autor, mit dem andere Verlage am deutschen Markt gescheitert sind. Suhrkamp wagt einen neuen Versuch, das ist mutig.

Eine Suhrkamp-Krimi-Kultur?

Buchcover Kalter Main von Rosa Ribas (Foto: Suhrkamp-Verlag)

Um so mehr durfte man auf die erste verlagseigene Entdeckung gespannt sein: den aus dem Spanischen übersetzten Debütkrimi "Kalter Main" der in Frankfurt lebenden Spanierin Rosa Ribas. Doch dieser Roman enttäuscht: Als Gesellschaftsstudie der spanischen Frankfurter Community birgt er zwar detailgenaue, liebenswürdige und lesenswerte Lebensläufe und Porträts, ist aber in punkto Krimierzählung ein wenig überzeugender Abklatsch vieler anderer Kriminalgeschichten.

Fazit: Kriminalliteratur macht Suhrkamp gewiss nicht schlecht, gediegene Unterhaltung eben. Aber das ist zu wenig, wenn man bedenkt, für welch herausragende geistig-literarische Tradition Suhrkamp steht – und wie viel Witz, Kreativität und Poesie in der Gattung "Kriminalliteratur" zu finden ist. Also - bei Suhrkamp nichts Neues.


Christian Dorph und Simon Pasternak, Der deutsche Freund, Kriminalroman. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Suhrkamp, 2009, 463 Seiten,9,95 Euro ISBN 978-3-518-46089-4.

Don Winslow, Pacific Private, Kriminalroman. Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch. Suhrkamp, 2009, 394 Seiten, 9,95 Euro ISBN 978-3-518-46096-2.

Rosa Ribas, Kalter Main, Kriminalroman. Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt. Suhrkamp, 2009, 420 Seiten, 9,95 Euro ISBN 978-3-518-46088-7.


Rezensent: Ulrich Noller
Redaktion: Gabriela Schaaf