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Auch Saddam darf an die Urne

Peter Philipp (stu)15. Oktober 2005

Die irakische Bevölkerung ist aufgerufen, über eine neue Verfassung abzustimmen. An einigen Punkten wurde bis zuletzt gefeilt, vor allem um die Sunniten im Lande zum Urnengang zu bewegen.

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Eine Irakerin mit Exemplaren des VerfassungsentwurfsBild: AP
Saddam Hussein
Ob er tatsächlich abgestimmt hat, ist nicht bekannt: Saddam HusseinBild: AP

Adel el-Lami, Mitglied des irakischen Verfassungsausschusses, will am Samstag (15.10.05) selbst zupacken: Er sei bereit, eine Wahlurne persönlich zum "Camp Cropper" unweit des Bagdader Flughafens zu bringen, in dem der ehemalige Staatschef Saddam Hussein und eine größere Anzahl seiner Getreuen inhaftiert sein sollen. Solange ihnen nämlich nicht der Prozess gemacht sei, haben diese ehemaligen Herren des Irak nämlich das Recht, sich am Referendum über eine neue Verfassung des Landes zu beteiligen. Ähnliches gilt für die geschätzten 10.000 Iraker, die an anderen Orten inhaftiert sind und auf ihren Prozess warten. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen stimmten sie bereits am Donnerstag (13.10.2005) ab.

Ob el-Lami sein Angebot umsetzen wird, ist ebenso ungewiss wie die Frage, ob Saddam Hussein seine Stimme abgeben würde. Er war es, der auf den Tag genau vor zehn Jahren, am 15. Oktober 1995, über die letzte gültige Verfassung abstimmen ließ. Und wie bei allen Plebisziten unter dem Exdiktator überraschte natürlich nicht, dass eine breite Mehrheit der Iraker - offiziell hieß es: 99,96 Prozent - für die damalige Verfassung stimmten.

Monatelanger Streit um Kernpunkte

Wie viele sich diesmal beteiligen werden, nachdem der direkte Druck des Regimes von ihnen genommen ist, bleibt ungewiss. Denn der Druck des Regimes ist längst abgelöst worden vom Druck der allgemeinen Sicherheitslage im Lande und vom monatelangen - und bisher ungelösten - Streit um einige Kernpunkte der Verfassung.

Irakkarte Bevölkerungsgruppen Kurden und Schiiten Karte
Irakkarte Bevölkerungsgruppen Kurden und Schiiten Sunniten DeutschBild: AP/DW

Dabei spricht der Entwurf, der inzwischen in Millionenauflage an die Bevölkerung verteilt wurde, von Dingen, die man so im Irak noch nie gehört hat: Schon der erste Artikel stellt fest, dass der Irak nicht nur "unabhängig und souverän", sondern dass seine Regierungsform "demokratisch, föderal und repräsentativ" sein soll. Im zweiten Artikel wird dann festgesetzt, dass der Islam Staatsreligion ist und eine grundlegende Quelle der Gesetzgebung.

Islam und Demokratie

Hier fängt bereits der Spagat an, den die Autoren der Verfassung versuchen: Kein Gesetz dürfe dem Islam widersprechen, gleichzeitig dürfe aber auch kein Gesetz im Widerspruch stehen zu den Prinzipien der Demokratie und den in der Verfassung getrennt festgelegten Rechte und Freiheiten. Gleichzeitig werde die islamische Identität der Bevölkerungsmehrheit aber auch die Religionsfreiheit aller Bürger garantiert. Artikel drei stellt dann fest, was man vom Irak bisher immer schon kannte: Dass er nämlich ein Staat mit verschiedenen Ethnien sei, mit verschiedenen Religionen und verschiedenen Sekten.

In der Vergangenheit schienen diese Dinge Teil der täglichen Realität im Irak, obwohl dies natürlich nur ein eher oberflächlicher Eindruck war: So setzte das Regime sich vornehmlich aus Sunniten zusammen, die nur knapp 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die ähnlich starken Kurden wie die 60-prozentige Mehrheit der Schiiten wurden unterdrückt und verfolgt. Seit dem Zusammenbruch des Baath-Systems und seitdem den verschiedenen Gruppen Beteiligung am Staat in Aussicht gestellt ist, rührt sich jedoch besonders von sunnitischer Seite Argwohn und Widerstand gegen den Verfassungsentwurf.

Angst vor dem Machtverlust

Verfassungsbruch
Exemplare des Verfassungsentwurfs auf einer MüllkippeBild: AP

Man fühlt sich entmachtet und marginalisiert und man sieht nicht ausreichenden Schutz von Minderheiten in der Verfassung. Besonders kritisch wird der geplante föderative Charakter des Landes betrachtet: Die Sunniten sehen hierin einen Versuch der Kurden und Schiiten, die wichtigsten Provinzen mit den wichtigsten Erdölvorkommen unter ihre Kontrolle zu bringen und letztlich den Staat auseinander fallen zu lassen. Auch noch so detaillierte Artikel zum Schutz von Minderheiten haben die Sunniten bisher nicht von der Überzeugung abgebracht, dass sie die großen Verlierer im neuen Irak sein werden.

Nur mit Mühe gelang es überhaupt, Sunniten am Verfassungskomitee zu beteiligen und wenigstens einen Teil der Sunniten zu überzeugen, dass es vernünftig wäre, am 15. Oktober am Referendum teilzunehmen - statt, wie bei den Parlamentswahlen im Januar, zu Hause zu bleiben. Schiiten und Kurden versuchten dann aber, sunnitische Zustimmung auf jeden Fall "sicherzustellen": Weil eine Ablehnung in zwei von drei Provinzen die Verfassung zu Fall brächte, änderten sie den Paragrafen in "zwei Drittel der Wahlberechtigten" von drei Provinzen. Erst unter internationalem Protest wurde dies wieder zurückgenommen. Das Misstrauen der Sunniten aber ist stärker als zuvor.

Drei Tage vor dem Referendum schloss das Parlament einen Kompromiss, um den Sunniten entgegen zu kommen. Neben kleineren unmittelbaren Änderungen sieht er vor, die Verfassung im kommenden Jahr insgesamt zu überprüfen. Mit der Überarbeitung soll eine Verfassungskommission beauftragt werden, in der die Sunniten-Parteien vollständig vertreten seien. Über die abgeänderte Verfassung müsste in einem neuen Referendum entschieden werden.