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"Flüchtlinge sind Opfer des IS"

Bernd Gräßler16. November 2015

Die Attentate von Paris schüren Angst vor Terroristen, die als Flüchtlinge über die Balkanroute nach Europa einreisen. Vizekanzler Gabriel widerspricht und kündigt für 2016 eine geordnete Zuwanderungspolitik an.

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Österreich Slowenien Flüchtlinge bei Sentilj (Foto: Maja Hitij/dpa/ picture-alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

Die Sorge, dass im gegenwärtigen Flüchtlingsstrom Richtung Europa auch Terroristen unterwegs sind, beschäftigt viele Menschen in Deutschland. In sozialen Netzwerken wird bereits seit Tagen darüber spekuliert, ob einer oder mehrere der Attentäter von Paris möglicherweise über Deutschland nach Frankreich reisten. Die islamfeindliche Bewegung Pegida rechnet mit neuem Zulauf für ihre montäglichen Demonstrationen in Dresden.

Bundesjustizminister Heiko Maas sagte am Montagmorgen, es gebe keine einzige nachweisbare Verbindung zwischen dem IS-Terrorismus und den Flüchtlingen, außer vielleicht eine: "Dass die Flüchtlinge vor den gleichen Leuten in Syrien flüchten, die verantwortlich sind für die Anschläge in Paris. Deshalb ist es auch völlig unverantwortlich, eine Verbindung herzustellen, ohne jeden Beweis".

Sicherheitsexperten schlossen die Möglichkeit eines Einsickern von Terroristen zwar nicht aus. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass Terroristen den mühseligen und gefährlichen Weg über das Mittelmeer und die Balkanroute nutzten, hieß es bisher. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums wollte oder konnte am Montag in Berlin keine Auskunft darüber geben, ob man über derlei Erkenntnisse verfügt. Er verwies auf die Aufklärung durch die französischen Behörden, an der alles hänge.

Sigmar Gabriel (Foto: Adam Berry/Getty Images)
Vizekanzler Gabriel: Neustart im nächsten JahrBild: Getty Images/A. Berry

Gegen den Generalverdacht

Wenig später wurde aus Frankreich bekannt, dass die Fingerabdrücke eines der Selbstmordattentäters mit denjenigen übereinstimmen, die bei einem Mann registriert wurden, der im Oktober mit syrischem Pass als Flüchtling nach Griechenland eingereist war.

In dieser schwierigen Gemengelage mühen sich Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien - Regierung wie Opposition – einem Generalverdacht gegenüber Flüchtlingen entgegenzutreten. Die Opfer von Paris verbinde mit den Flüchtlingen, dass sie beide Opfer des IS seien, erklärte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin. Sie dürften nicht in einer "seltsamen politischen Diskussion unter Generalverdacht gestellt werden".

Genau dies gehört offenbar zur Strategie der islamfeindlichen Bewegung Pegida. Sie rechnet mit neuem Zulauf für ihre montäglichen Demonstrationen in Dresden. Die oppositionellen Grünen nannten es infame Scharfmacherei, auf dem Rücken der Flüchtlinge nun eine politische Debatte über Konsequenzen aus den Anschlägen austragen zu wollen.

Politiker verschiedener Parteien hatten bereits am Wochenende den bayrischen Finanzminister Markus Söder (CSU) heftig kritisiert, weil dieser gesagt hatte, "Paris ändert alles". Er verband damit die Forderung, dass unkontrollierte Zuwanderung mit allen Mitteln beendet werden müsse.

Söders Chef, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, ging allerdings auf Distanz. Man müsse die Sache differenziert sehen und die Themen Flüchtlinge und Terror sauber trennen: "Sonst gibt es noch mehr Polarisierung innerhalb der Gesellschaft", sagte Seehofer am Montag in München.

Paris ändert nicht alles

Vizekanzler Gabriel geht noch weiter: Der Satz "Paris ändert alles" sei der falscheste Satz, den man aussprechen könne. Nichts werde sich ändern "an unserer Art des Zusammenlebens", so Gabriel. Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik versicherte er, dass es in Deutschland keine Einschränkung des Asylrechts geben werde.

Aus Sicht der SPD müsse man zunächst alles dafür tun, um die europäischen Außengrenzen besser zu schützen, um dann im neuen Jahr "so etwas wie einen Neustart der Flüchtlingspolitik zu schaffen". Dabei gehe es "statt chaotischer" um organisierte Zuwanderung, die über Kontingente und ohne Schlepper stattfinden solle. Einen ähnlichen "Plan" hatte bereits Kanzlerin Angela verkündet.

Gabriel ging allerdings auch auf Sorgen in der eigenen Bevölkerung ein. Als Beispiel nannte er den Wohnungsmarkt. Man müsse sich um den Handwerksmeister, der in einer deutschen Großstadt eine bezahlbare Wohnung suche, ebenso kümmern wie um die Flüchtlingsfamilie. Langzeitarbeitslose müssten eine Chance bekommen, Schulklassen dürften nicht zu groß werden und in Kindertagesstätten müssten genügend Plätze zur Verfügung stehen.

Der schlimme Satz: "Für die einen habt Ihr alles, für uns habt Ihr nichts" - der unter anderem auf Pegida-Demonstrationen zu sehen ist - dürfe sich "nicht ins Zentrum der Gesellschaft fressen", fordert Gabriel. Es sei eine Zeit großer Gesellschaftspolitik, um das Land zusammenzuhalten.