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Attentat auf die Demokratie

Zusammengestellt von Andreas Ebel14. September 2003

Der Tod von Anna Lindh hat überall auf der Welt Bestürzung und Trauer hervorgerufen. Zeitungen aus ganz Europa beschäftigten sich mit dem Attentat an der Sozialdemokratin und seinen Folgen. Ein Überblick.

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Anna LindhBild: AP

Die liberale schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter" betitelt Lindh als "beste Politikerin" ihrer Generation und schreibt:

"Anna Lindh hatte einen langen Einsatz in der Politik hinter sich. Trotzdem stand sie erst noch vor der wirklich großen Aufgabe, Schweden in die neue Welt zu führen, in der die europäische Einheit ein Pol und Bedrohung durch grenzenlosen Terrorismus ein anderer ist. Trauer mischte sich bei den ersten Reaktionen mit Zorn. Das war beim Mann auf der Straße und dem Mädchen in der U-Bahn nicht anders als unter allen Politikern und ausländischen Staatsführern."

Bessere Chancen für den Euro?

Die spanische Zeitung "El Mundo" sieht Hoffnung für die Einführung des Euro und schreibt:

"Sollte der Mörder vorgehabt haben, einen Befürworter des Euro umzubringen, so könnte der Effekt genau entgegengesetzt sein: Eine Mobilisierung der hunderttausenden Unentschlossenen zu Gunsten des 'Ja' bei der Abstimmung am Sonntag - aus Sympathie für und Solidarität mit der ermordeten Ministerin. Der Tod von Anna Lindh könnte paradoxerweise die Prognosen der Umfragen umkehren, wonach die Befürworter des 'Nein' mit fünf bis zehn Prozentpunkten vorne liegen."

Geheimnisvoll wie eine Gottesstrafe

Blitzartig, zerstörerisch und unerklärlich erscheint das Attentat der römischen Tageszeitung "Il Messaggero", die schreibt:

"Geheimnisvoll wie eine Gottesstrafe hat die Gewalt den glücklichsten und abgeschiedensten Teil Europas getroffen. (...) Entsetzt stellt Schweden fest, dass es mit einer Welt zurecht kommen muss, die keine freien Zonen mehr kennt. Und es findet heraus, dass es unvorbereitet ist. Es will oder kann nicht seine Spitzenpolitiker beschützen, heute wie vor 17 Jahren, als Ministerpräsident Olof Palme auf der Straße erschossen wurde. Wie damals läuft Schweden Gefahr, das Verbrechen unaufgeklärt und unbestraft zu lassen."

Attentat erhöht Wahlbeteiligung

Die Londoner "Times" sieht das Ideal einer freien und demokratischen Gesellschaft schwinden und schreibt:

"Die Schweden sind verantwortungsvolle und gebildete Wähler. Wie immer die Euro-Debatte das Land auch bewegt haben mag, die Bevölkerung kann zwischen Gefühl und Interessen trennen. Es könnte sein, dass der Tod von Lindh mehr Schweden an die Wahlurnen treibt. Sie müssen zwischen der persönlichen Trauer und den nationalen Interessen entscheiden."

Politischer Mord

Die Tageszeitung "Die Welt" aus Berlin schreibt über mögliche Folgen des Attentats:

"Egal was der Täter wollte, dieser Mord wirkt wie ein politischer Mord. Er wirft einen Schatten, in dem die währungspolitische Abstimmung am Sonntag wie eine Entscheidung über Schuld und Schicksal einer Nation wirkt. Daher zeugt es von Mut und Vertrauen in die Demokratie, dass alle schwedischen Parteien das Referendum wie geplant durchführen wollen. Demokratie triumphiert über Mord. Sie bezahlt dafür den Preis, dass am Sonntag auf jedem Wähler ein ungeheurer Druck lasten wird. Kann man da noch ruhig abwägen, ob man besser die Krone behält oder aber sich in die europäische Währung integriert?"

Preis der Bürgernähe

Über die kommende Diskussion zur Sicherheit der Demokratie schreibt die französische Tageszeitung "Libération":

"Zu viel Bürgernähe der Politiker kann in Schweden also tödlich sein. Andererseits kann zu viel Distanz wie in Frankreich die Politik sterben lassen, ohne dass die politischen Akteure unbedingt besser geschützt wären. Die Schweden werden nun diskutieren und entscheiden müssen, wie sie ihre Demokratie mit mehr Sicherheit in Einklang bringen. Klar ist, dass es kein absolutes Mittel gibt, das kollektive oder individuelle Verrücktheiten abwehrt. Das Ergebnis der Diskussion in Schweden dürfte weit über das Land hinaus auf Interesse stoßen."