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Politik

Neue Provokationen aus Ankara

19. März 2017

Staatschef Erdogan wirft Kanzlerin Merkel persönlich Nazi-Methoden vor. Sein Sprecher reibt sich an der BND-Einschätzung zur Gülen-Bewegung. Und wegen der Kurden-Demo in Frankfurt schäumt Ankara schon zwei Tage.

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Der türkische Präsident Tayyip Erdogan (Foto: Reuters/O. Orsal)
Bild: Reuters/O. Orsal

Im Konflikt mit Berlin hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der deutschen Bundeskanzlerin nun auch persönlich "Nazi-Methoden" vorgeworfen. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede sagte Erdogan an Angela Merkel gerichtet: "Du benutzt gerade Nazi-Methoden." "Gegen wen?", fragte Erdogan. "Gegen meine türkischen Brüder in Deutschland und die Minister", die in Deutschland für die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei werben wollten. Zuvor hatte er bereits deutschen Behörden "Nazi-Methoden" vorgeworfen und damit Empörung in Berlin ausgelöst.

Mit offenem Unmut und einem Gegenangriff reagierte die türkische Regierung auch auf die Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes (BND), wonach es keine Anzeichen für eine Beteiligung der Gülen-Bewegung am fehlgeschlagenen Putsch in der Türkei im vergangenen Jahr gibt. Ibrahim Kalin, der Sprecher von Erdogan, hielt Deutschland vor, es wolle die Bewegung des islamischen Predigers "reinwaschen". Verteidigungsminister Fikri Isik sagte sogar, die Bemerkungen von BND-Chef Bruno Kahl würden den Fragen Auftrieb geben, ob nicht Berlin selbst an dem Putschversuch beteiligt gewesen sei.

"Die Frage wird lauter, ob der deutsche Geheimdienst hinter dem Putsch steckte"

Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik (Foto: picture-alliance/Sputnik/G. Sisoev)
Der türkische Verteidigungsminister Fikri IsikBild: picture-alliance/Sputnik/G. Sisoev

Die Türkei stuft die Bewegung von Gülen, einem einstigen Weggefährten und heutigen Erzfeind von Erdogan, als terroristisch ein. Schon mehrfach wurde in Ankara der Vorwurf laut, Deutschland gehe nicht deutlich genug gegen Gülen-Anhänger vor. In der Türkei wurden seit dem Putsch-Versuch zehntausende angebliche Gülen-Anhänger inhaftiert oder aus dem Staatsdienst entlassen. Gülen, der im Exil in den USA lebt, bestreitet jegliche Verwicklung in den Putschversuch vom Juli.

BND-Chef Kahl hatte dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zu dem türkischen Putsch-Vorwurf gegen Gülen gesagt: "Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen. Das ist ihr aber bislang nicht gelungen." Er widersprach auch der Einschätzung der türkischen Regierung, die Gülen-Bewegung sei islamisch-extremistisch oder gar terroristisch: "Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung." Kahl bezeichnete den Putsch zudem als "willkommenen Vorwand" für das türkische Vorgehen gegen Regierungsgegner.

Präsident Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin (Foto: picture-alliance/AA/O. Ozer)
Erdogans Sprecher Ibrahim KalinBild: picture-alliance/AA/O. Ozer

Kalin sagte dem Sender CNN-Türk dazu: "Das ist eine Operation, um Fetö (türkische Bezeichnung für die Gülen-Bewegung) reinzuwaschen." Verteidigungsminister Isik wiederum sprach im Fernsehsender Kanal 7 von "höchst bedauerlichen Äußerungen" des BND-Chefs. Dadurch würden die Zweifel an Deutschlands Rolle bei dem Putsch größer. Und dies werde "die Frage lauter werden lassen, ob der deutsche Geheimdienst hinter dem Putsch steckte". Türkische Politiker hatten bereits mehrfach gemutmaßt, dass westliche Staaten in den Umsturzversuch verstrickt gewesen sein könnten.

"Deutschland hat seinen Namen unter weiteren Skandal gesetzt"

Auch die Kurden-Demonstration in Frankfurt am Main sorgt weiter für Verärgerung in Ankara. Die türkische Regierung bestellte deshalb den deutschen Botschafter ein. Kalin sprach von einem "Skandal", weil viele Demonstranten verbotene Kennzeichen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit sich geführt hatten. "Gestern hat Deutschland seinen Namen unter einen weiteren Skandal gesetzt", sagte er dazu. Das kurdische Neujahrsfest Newroz sei als "Vorwand" für die kurdische Demonstration genutzt worden, so Kalin.

Etwa 30.000 Menschen hatten am Samstag in Frankfurt friedlich für "Demokratie in der Türkei" und "Freiheit für Kurdistan" demonstriert. Die Teilnehmer riefen auch zu einem "Nein" bei dem anstehenden Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei auf. Laut Polizei waren zahlreiche Fahnen und Plakate mit Abbildungen verbotener Symbole sowie Bilder des Chefs der ebenfalls verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, zu sehen. Die Polizei verzichtete aber nach eigenen Angaben auf Beschlagnahmungen, um einen friedlichen Verlauf der Veranstaltung zu gewährleisten. Die Fälle sollen aber strafrechtlich verfolgt werden.

Deutsche Welle weist Vorwurf der "Terror-Propaganda" zurück   

Die Deutsche Welle wehrte sich unterdessen gegen Vorwürfe der türkischen Zeitung „Günes“, sie betreibe „Terror-Propaganda“. Anlass für diese Behauptung war eine Facebook-Live-Übertragung der türkischen Redaktion der DW von der Frankfurter Kundgebung. „Günes“ zeigte auf der Titelseite ein Bildschirmfoto der DW-Reporterin bei der Kurden-Demonstration und schrieb dazu: "Jetzt reicht es: Deutschland, das türkische Minister an Auftritten hindert, hat den PKK-Anhängern mal wieder eine Kundgebung genehmigt. Und im deutschen Fernsehen DW wurde der Terror-Marsch live übertragen“.

Dazu erklärte DW-Intendant Peter Limbourg: „Das ist eine absurde Behauptung, die wieder einmal belegt, wie es um die Medien in der Türkei steht. Dieselbe Zeitung hat kürzlich ein Foto der Bundeskanzlerin gedruckt, auf dem sie als Hitler dargestellt wird. Gegen diese Instrumentalisierung der Presse in der Türkei müssen die Medien geschlossen auftreten und die Menschen in der Türkei mit objektiven Informationen versorgen.“

"Wir sind tolerant, aber wir sind nicht blöd"

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bezeichnete die Verbalattacken aus der Türkei erneut als "absurd". "Wir sind tolerant, aber wir sind nicht blöd", sagte Gabriel der "Passauer Neuen Presse" (Montag). Umso mehr hätten ihn "die unsäglichen Vorwürfe und absurden Vergleiche" der letzten Wochen aus Ankara geärgert. "Ich habe meinem türkischen Kollegen deshalb ganz deutlich gemacht, dass hier eine Grenze überschritten wurde." Aus diesem Grund sei der Türkei auch ganz klar gesagt geworden: "Wenn Ihr hier auftreten wollt, dann haltet Euch an unsere Gesetze, sonst geht das nicht", sagte Gabriel.

Der neue SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz bezeichnete den Nazi-Vorwurf des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Bundeskanzlerin Merkel als "Frechheit". Schulz betonte in der ARD, man müsse Erdogan jetzt irgendwann mal sagen, dass ein Staatsoberhaupt eines NATO-Mitglieds und eines EU-Beitrittskandidaten "nicht alle Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie mit Füßen treten" dürfe. "Das tut er aber. Das ist eines Staatsoberhauptes unwürdig", sagte Schulz.

sti/haz (afp, dpa)