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Schulungen bereiten die AKW-Crews auf den Ernstfall vor

19. März 2011

Atomkraftwerke in Deutschland seien sicher, auch die älteren inzwischen abgeschalteten Meiler, bekräftigen deren Betreiber. Mit hohem Aufwand schulen sie ihr Personal in speziellen Simulatoren -auch für den Ernstfall.

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Training des Reaktorbetriebs im Simulator Essen (Foto: DW - mit Genehmigung der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft Essen)
Training des Reaktorbetriebs im Simulator EssenBild: Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft Essen

Der Alarm ist nicht zu überhören. Die unzähligen Lämpchen an den Schalttafeln in den Wänden gegenüber dem Kontrollstand blinken ständig. Schreie gibt es nicht, sie sind sogar verboten. Aber laut und deutlich werden mögliche Störquellen nach einem erlernten Katalog abgefragt und beantwortet. In mehreren dicken Aktenordnern steht die Betriebsanleitung des Atomkraftwerks - sortiert nach Aufbau, Technik und möglichen Störfällen. Niemand blättert jetzt darin. Es gibt auch keine Schweißperlen auf der Stirn der Männer, die jetzt Regler, deren Stellung und etliche Angaben auf einigen Bildschirmen kontrollieren.

Schnell ist klar: Es gibt ein Problem mit der Kühlung von Brennstäben im Reaktor. Zusätzlich gibt es in immer mehr Bereichen des Kraftwerks Stromausfälle. Drei der vier Notstromaggregate laufen nicht. Eine Katastrophe bahnt sich an.

Ein Flugzeugpilot müsste jetzt in Sekunden entscheiden, was zu tun ist. Im Kontrollstand des Kraftwerks deutscher Bauart hat der automatische Reaktorschutz für 30 Minuten jede Steuerung übernommen. Dieser automatische Reaktorschutz testet tausende Leitungen, Stellklappen, Armaturen, Baugruppen und Schaltanlagen durch und leitet entsprechende Reaktionen ein. Diese ersten 30 Minuten nach einem Störfall hat die Besatzung der Kommandobrücke Zeit zu überlegen, was zu tun ist. "Im ersten Moment kann also keiner in Panik den falschen Hebel ziehen", erklärt Jochen Kruip, stellvertretender Geschäftsführer der Kraftwerks-Simulatoren-Gesellschaft in Essen und bricht die Übung in dem originalgetreu nachgebauten Kontrollzentrum eines deutschen Kernkraftwerks ab.

Erleichterung bei den Schülern - den Kernkraftwerkstechniker und Ingenieure, die nach bestandenen Prüfungen ihre Lizenz erhalten, in einer so genannten Leitwarte ein Atomkraftwerk beaufsichtigen und steuern zu dürfen.

Alle Kontrollräume original nachgebaut

Nachbildung einer AKW Leitwarte für die Schulung (Foto: DW - mit Genehmigung der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft Essen)
Nachbildung einer AKW Leitwarte für die SchulungBild: Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft Essen

In der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft, die in einem modernen Gebäude außerhalb der Ruhrgebietsstadt Essen ihren Sitz hat, sind tatsächlich alle in Deutschland existierenden Atomkraftwerke mit ihren Leitwarten in jedem Detail nachgebaut. "In einem Stockwerk haben wir also Biblis A in Hessen, direkt nebenan Gundremmingen in Bayern und Esenshamm in Niedersachsen. In 20 Minuten sind sie bei uns hier durch 14 Atomkraftwerke durch", erzählt der Leiter der Schulung Dieter Held nicht ohne Stolz, denn eine solche zentrale Schulungseinrichtung ist weltweit einzigartig.

Die Kraftwerksschulung hat ihre Wurzeln noch in der Errichtung von Kohle- und Gaskraftwerken im Ruhrgebiet, für die natürlich auch schon Fachpersonal ausgebildet werden musste. Ende der 1970er- Jahre, mit der Errichtung der ersten Atomkraftwerke in Deutschland, entstand dann auch die Schule für Kernkraftwerke. Ihre Betreiber, die vier großen Stromerzeuger RWE, EON, EnbW und Vattenfall unterhalten die Simulatoren, von denen jeder einzelne Kraftwerksnachbau zwischen 25 und 30 Millionen kostet.

Nichts für Abenteurer

Jochen Kruip von der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft vor dem Plastikmodell eines AKW (Foto: DW - mit Genehmigung der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft Essen)
Jochen Kruip von der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft vor dem Plastikmodell eines AKWBild: DW

Wer in Essen in den Leitwarten ausgebildet wird, hat in jedem Fall schon einmal eine technische Ausbildung hinter sich - entweder zum Elektromeister oder zum Ingenieur. Für die Auswahl des Schulungspersonals ist allein der Betreiber eines Atomkraftwerks zuständig, nicht das Simulatorzentrum in Essen.

"Wir haben zudem eine enge Zusammenarbeit mit der Lufthansa, um die Disziplin in der Kommunikation bei einem Störfall streng zu prüfen". Das ist Jochen Kruip von der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft ganz wichtig. "In allen Tests zum Verhalten gegenüber Kollegen im Team würden wir schnell Hektiker oder unzuverlässige Kandidaten erkennen und sofort herausfiltern." "Wackelkandidaten haben wir in 30 Jahren ganz selten erlebt", ergänzt Schulungsleiter Dieter Held.

2500 Trainees durchlaufen jedes Jahr die Ausbildung im Simulatorzentrum Essen. Bevor jemand Schichtleiter, also Chef von vier weiteren Kollegen im Kontrollzentrum eines Atomkraftwerks in Deutschland wird, vergehen vier bis fünf Jahre, in denen der Normalbetrieb und jeder nur denkbare Störfall getestet wird. Bis alle Handgriffe sozusagen im Schlaf beherrscht werden. Dass in Deutschland bisher alle der gemeldeten mehreren hundert Störfälle ohne größere Katastrophe aufgefangen werden konnten, scheint für die Qualität der Ausbildung zu sprechen.

Damit das so bleibt, werden alle künftigen Mitarbeiter in der Leitwarte eines Kraftwerks auch nur auf einen einzigen Kraftwerkstyp ausgebildet. Ein beruflicher Wechsel - zum Beispiel durch einen Umzug in ein anderes Bundesland - ist nicht möglich. Zusätzlich ist die einmal erteilte Lizenz in regelmäßigen zeitlichen Abständen, ähnlich einer Pilotenlizenz, zu erneuern. "So können wir auch die entsprechenden technischen Modernisierungsmaßnahmen in den Kraftwerken und sämtliche uns weltweit gemeldeten Störfall-Auswertungen in die erneuten Schulungen einbauen", berichtet Schulungsleiter Held.

Nachbildung eines Kernreaktors im Glasmodell (Foto: DW - mit Genehmigung der Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft Essen)
Nachbildung eines Kernreaktors im GlasmodellBild: DW

Regelmäßig erhält das Simulatorzentrum übrigens Besuch von Schulklassen oder interessierten Erwachsenen aus allen Gesellschaftsbereichen. Ein nachlassendes Interesse können die 55 Ausbilder in Essen nicht feststellen. "Das gilt auch für den Nachwuchs, der unbedingt einen Job in einem Kernkraftwerk sucht", ergänzt Jochen Kruip vom Kraftwerks-Simulatorzentrum. Allerdings, das müssen Jochen Kruip und Dieter Held zugeben, "absolute Kernkraftgegner kommen uns nicht besuchen".

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Kay-Alexander Scholz