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Atomenergie in Deutschland: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Richard Fuchs17. Juli 2008

Atomkraftwerke abschalten oder am Netz behalten? Gegner sprechen vom hohen Sicherheitsrisiko und der Angst vor Unfällen, Befürworter warnen vor steigenden Gaspreisen und betonen die positiven Folgen für den Klimaschutz.

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Atomkraftwerk der RWE (dpa)
Noch produzieren die deutschen Atomkraftwerke StromBild: picture-alliance/dpa

Noch im Jahr 2000 vereinbarte die deutsche Bundesregierung unter Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den deutschen Energieversorgern einen Ausstieg aus der Kernenergie. Sie beschlossen, dass in Deutschland keine Atomkraftwerke neu gebaut werden dürften und vereinbarten für die verbleibenden deutschen Atommeiler Restlaufzeiten mit festen Strommengen.

Seit 2002 ist der Beschluss Gesetz. Doch während der Atomausstieg damals ein grünes Vorzeige-Projekt war, ist Deutschland mit dieser Anti-Atomkraft-Politik heute in Europa isoliert. In Großbritannien, der Schweiz, Frankreich und zuletzt auch Italien sollen Atomkraftwerke neu gebaut werden. In Deutschland wollen Vertreter des bürgerlich-konservativen Lagers bei dieser Renaissance der Atomkraft mitmachen und schmieden bereits seit Jahren Pläne für das Comeback der Atomenergie.

Kernkraft für den Klimaschutz

Atomkraftgegner demonstrieren gegen Atomkraft vor dem Tagungsort des Deutschen Atomforums (8.2.2007/ Christoph J. Heuer)
In Deutschland ist die Atomenergie in der Bevölkerung umstrittenBild: DW/Heuer

Gerade in Zeiten steigender globaler CO²-Belastungen werden Atomkraftwerke als CO²-Vermeider debattiert. In einer aufwendigen Werbe-Kampagne nennt sich die deutsche Atomlobby selbstbewusst "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer". Nach Rechnung Bernd Arts, Mitglied des deutschen Atomforums, vermeidet die Kernenergie jedes Jahr knapp 150 Millionen Tonnen CO2, in etwa soviel, wie der gesamte Straßenverkehr in einem Jahr emittiert.

Ein Drittel des deutschen Stromverbrauchs wird bisher noch mit Kernkraft gedeckt. Bliebe es beim vereinbarten Atomausstieg, dann müsste dafür bis 2020 eine klimafreundliche Alternative geschaffen werden. Joachim Pfeiffer, Energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, glaubt, dass dies nicht allein mit erneuerbaren Energien gehen werde, weshalb die fossilen Energien zusätzlich genutzt werden müssten, was zu einer Mehrbelastung führe. Pfeiffer sieht keinen Konflikt zwischen Kernenergie und erneuerbaren Energien, da Kernenergie und erneuerbare Energien seien zwei Seiten der gleichen Medaille.

Aufbruchsstimmung dank Atomkraft

CDU-Generalsekretar Ronald Pofalla im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin auf einer Pressekonferenz (11. August 2006/AP)
CDU-Generalsekretar Ronald Pofalla bezeichnet Kernkraft als ÖkoenergieBild: AP

Dass sich Kernenergie und erneuerbare Energie nicht ausschließen, hat das konservativ-bürgerliche Lager in einem Öko-Grundsatzpapier festgehalten, in denn nach Aussage von CDU-Generalsekretärs Ronald Pofalla ist Kernkraft ist für die CDU Ökoenergie. Und mit dieser ökologischen Kernkraft sollen nach dem Willen der bürgerlichen Parteien - möglicherweise auch mit Unterstützung der vier großen deutschen Energieversorger - die ehrgeizigen Klimaschutz-Ziele erreicht werden. Dies würde bedeuten, dass bis 2020 der Kohlendioxid-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent reduziert würde.

Bernd Arts vom Atomforum prognostiziert daraus Aufbruchsstimmung, da allein ein Unternehmen im Bereich der kerntechnischen Industrie bereits heute mehr als 1500 Menschen eingestellt habe. Dies sei ein Beleg dafür, dass die kerntechnische Industrie nicht erst vor dem Aufschwung stehe, sondern sich schon mitten drin befinde. Der nächste richtige Schritt für die Atomkraft-Befürworter ist nun eine deutliche Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomreaktoren. Dies würde bedeuten, dass die letzten Reaktoren nicht, wie im Atomausstiegs-Gesetz festgelegt, 2020 abgeschaltet würden, sondern fünf oder zehn Jahre später.

Atomreaktoren als Gelddruckmaschine

Die Photovoltaik-Anlage des Technologie- und Tagungszentrums in Marburg (20. Juni 2008/AP)
Als erste deutsche Stadt verpflichtet Marburg Bauherren zu einer Solaranlage auf dem DachBild: AP
Die von der Atomlobby beschworene Aufbruchsstimmung Thorben Becker, Energie-Experte der Naturschutz-Organisation B U N D, nicht nachvollziehen. Seiner Meinung nach gehe es in erster Linie ums Geld und nicht darum, dass die Lobbyisten diese Technologie gut fänden. Doch um in Deutschland und der Welt wirklich substantiell Kohlendioxid einzusparen, bedürfe es einer groß angelegten Energie-Effizienz-Strategie als Alternative zur Atomkraft. Weltweit decke die Atomkraft derzeit knapp drei Prozent des Energieverbrauchs ab. Mehr nutzen zu wollen, setzte ein Ausbauprogramm mit bis zu 1000 Atomkraftwerke voraus, was weder technisch noch wirtschaftlich möglich oder politisch durchsetzbar sei.

An Neubau von Atomkraftwerken denkt in Deutschland derzeit aber ohnehin niemand, denn zuerst muss die Frage der Entsorgung des radioaktiven Abfalls geklärt werden. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hält am beschlossenen Atomausstieg fest, um die Regierungskoalition mit den Atomkraft-skeptischen Sozialdemokraten zu retten.

Atomkraft als Wahlkampfthema

Viele Atomkraft-Befürworter und –Gegner setzen deswegen auf die kommende Bundestagswahl 2009. Joachim Pfeiffer, Energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion, ist sich sicher, dass diese Wahl richtungsweisend für die Zukunft der Atomenergie sei. Wenn noch einmal vier Jahre nichts passiere, dann seien die wesentlichen Ausstiegs-Entscheidungen vollzogen. Es seien von den 19 deutschen Kraftwerken bereits heute zwei abgeschaltet, zwei weitere befänden sich im so genannten "Phase Out", was zur Folge hätte, dass in der nächsten Legislaturperiode das Gros der deutschen Kernkraftwerke in den Phase Out und in die Abschaltung ginge. Dies sei vier Jahre später nicht mehr rückgängig zu machen.

Folglich bleibt den deutschen Atom-Lobbyisten nur noch ein gutes Jahr, um für den Ausstieg aus dem Ausstieg zu werben. Ungelegen dürfte da vor allem die Meldung kommen, dass an den internationalen Rohstoffmärkten nicht nur die Preise für Öl und Gas, sondern auch die für Uran klettern.