Asyl: Regeln und Leistungen für ukrainische Flüchtlinge
4. März 2022Einiges ist ungewiss. Aber eines stellt das Bundesinnenministerium klipp und klar fest: Alle Menschen, die nach dem 24. Februar oder "nicht lange vor dem 24. Februar" aus der Ukraine geflüchtet sind, können ohne Visum nach Deutschland einreisen.
Für ukrainische Staatsangehörige galt dies ohnehin. Eine Übergangsverordnung des Bundesinnenministeriums regelt dies jedoch für alle Flüchtenden unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Somit können sich alle Flüchtenden aus der Ukraine bis zum 23. Mai 2022 legal in der Bundesrepublik aufhalten.
Um Sozialleistungen zu erhalten, müssen Flüchtende jedoch mit einem "Schutzgesuch" eine Aufenthaltserlaubnis beantragen (siehe unten).
Wer erhält Schutz in Deutschland?
Im Asyl-System der Europäischen Union entscheiden Mitgliedstaaten eigentlich auf Grund der individuellen Gefährdung von Geflüchteten über deren Status. In aufwendigen Rechtsverfahren werden dabei Einzelfälle bewertet. Dem entgegen haben die Innenminister und Innenministerinnen der Europäischen Union sich Anfang März verständigt, Menschen aus drei Gruppen unter Schutz zu stellen.
Erstens, Ukrainer, die seit dem 24. Februar in Folge der russischen Invasion geflohen sind. Zweitens, Menschen aus Drittstaaten oder Staatenlose, die legal in der Ukraine lebten und denen es unmöglich ist, sicher in ihre Heimatländer zurückzukehren. Und drittens, Familienmitglieder der ersten beiden Gruppen.
Personen, die in der Ukraine studierten oder arbeiteten, aber in ihre Heimatländer sicher zurückkehren können, sind vom EU-Schutz ausgeschlossen. Trotzdem können sie laut Übergangsregelung bis zum 23. Mai in Deutschland bleiben und sich auch um andere Formen des Aufenthalts bemühen (s.u.).
In Deutschland wird die EU-Richtlinie seit 2004 im Aufenthaltsgesetz Paragraph 24 umgesetzt.
Was muss ich machen, um Schutz in Deutschland zu erhalten?
Wer aus der Ukraine geflohen ist, erhält in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union temporär Schutz. In Deutschland wird unterschieden zwischen Fliehenden, die auf irgendeinem Weg privat eine Unterkunft finden und Menschen, die durch die Behörden untergebracht werden.
Menschen, die privat unterkommen — bei Freunden, Familie oder einer privat vermittelten Unterkunft — können nach Auskunft des Bundesinnenministeriums an diesem Ort bleiben.
Flüchtlinge, die durch die Behörden versorgt werden, werden deutschlandweit weiterverteilt und in Massenunterkünften, das heißt in Turnhallen, Messegeländen oder Schulen untergebracht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser bestätigte im Deutschlandfunk, dass seit 14. März zur Verteilung von Flüchtlingen in die Bundesländer der so genannte Königsteiner Schlüssel angewendet wird. Das heißt, entsprechend des Steueraufkommens und der Bevölkerungszahl jedes Bundeslandes werden Flüchtlinge weiterverteilt.
Nachdem Flüchtlinge an einer Adresse untergekommen sind, sollten Sie bei ihrer jeweiligen Ausländerbehörde oder Erstaufnahmeeinrichtung ein so genanntes "Schutzgesuch" äußern. Das heißt, sie beantragen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz für den vorübergehenden Schutz. Anders als bei herkömmlichen Asylverfahren wird in diesem Schritt nicht der Pass der schutzsuchenden Person eingezogen. Eventuell wird jedoch eine Kopie angefertigt.
Die Behörde stellt nach Beantragung der Aufenthaltserlaubnis eine so genannte "Fiktionsbescheinigung" aus. Das ist ein Dokument, das einen vorläufigen Aufenthaltstitel bescheinigt.
Bisher ist noch unklar, wie sich dieser Prozess für Flüchtende ohne ukrainische Staatsbürgerschaft verhält. Drittstaatsangehörige und Staatenlose können ebenfalls ein Schutzgesuch äußern. Ob dem Schutzgesuch stattgegeben wird, ist jedoch offen, weil die EU-Richtlinie nur solche Drittstaatsangehörige und Staatenlose unter Schutz stellt, die "nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können". Asylrechtsexperten befürchten, dass Drittstaatler vor dem Gesetz schlechter gestellt werden als Ukrainer und vermuten, dass die Prüfung, ob Menschen sicher zurückkehren können, wieder langwierige Asylrechtsverfahren zur Folge haben.
Welche Leistungen und Rechte stehen mir zu?
Fliehenden aus der Ukraine stehen in Deutschland bestimmte Leistungen und Rechte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu. Das heißt, sie können Geld und medizinische Versorgung erhalten und Arbeit aufnehmen.
Die Leistungen können beim Sozialamt beantragt werden, und zwar unabhängig von einer Beantragung der Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde.
Das Problem ist, dass Umfang und Umsetzung von Sozialleistungen deutschlandweit unterschiedlich geregelt sind und sich sogar zwischen Kommunen desselben Bundeslands unterscheiden können.
Fest steht, dass Fliehende, die weniger als 200 Euro Vermögen haben, Anspruch auf existenzsichernde Sozialleistungen haben. Monatlich sind das für alleinstehende Erwachsene 367 Euro. Weitere Gelder kommen je nach Einzelfall hinzu.
Akute medizinische Versorgung wie bei Verletzungen müssen in Krankenhäusern versorgt werden. Die Krankenhäuser können sich die Kosten beim Sozialamt erstatten lassen. Für die Behandlung planbarer Eingriffe erhalten Flüchtende in manchen Bundesländern und Kommunen so genannte Gesundheitskarten, über die medizinische Versorgung abgerechnet wird. Ohne Gesundheitskarte muss jede Behandlung vorher beim Sozialamt beantragt werden.
Aber unter der bisherigen Gesetzgebung werden nicht alle medizinischen Leistungen übernommen. Zum Beispiel sind psychotherapeutische Behandlung oder Versorgung chronischer Krankheiten nur bei "besonderen Bedürfnissen" vorgesehen. Experten kritisieren, dass diese Einschränkung seit Anfang März nicht mehr zulässig sei.
Umfassendere Gesundheitsversorgung erhalten Flüchtlinge, wenn sie über Familienmitglieder, die bereits in Deutschland krankenversichert sind, mitversichert werden. Das ist jedoch in der Regel nur für Ehegatten, Lebenspartner und deren Kinder bzw. Enkel möglich.
Darf ich in Deutschland arbeiten?
Für Aufsehen hat gesorgt, dass Flüchtende aus der Ukraine sofort arbeiten dürfen. In einem Schreiben vom 14. März, das der DW vorliegt, erklärt das Bundesinnenministerium, dass sowohl Anstellungen, wie auch selbstständige Tätigkeiten erlaubt seien und im Aufenthaltstitel "Erwerbstätigkeit erlaubt" eingetragen werden muss.
Aus Kreisen der Arbeitsagenturen heißt es, dass zusätzliche Übersetzer bereitgestellt werden, um bei der Vermittlung zu helfen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sagte vergangene Woche, dass noch abgewartet werden müsse, "welche Möglichkeiten uns die Politik gesetzlich gibt zu helfen, wie viele Menschen zu uns kommen, welche Befugnisse sie haben und wie sich die gesamte Situation weiter entwickelt."
Kann ich hinziehen, wo ich will?
Die Aktivierung des vorübergehender Schutzmechanismus auf EU-Ebene hat noch eine weitere asylpolitische Revolution mit sich gebracht: Zum ersten Mal müssen Fliehende nicht in dem EU-Land bleiben, in dem sie zum ersten Mal in die EU eingereist sind.
Flüchtende aus der Ukraine können sich aussuchen, in welchem EU-Land sie sich niederlassen. Asylrechtsexperten weisen allerdings darauf hin, dass Leistungen und Rechte, die mit dem Schutzmechanismus einher gehen, nur im Land des ersten Antrags gelten.
Der EU-Mechanismus sieht zwar vor, dass Flüchtende auch später noch in ein anderes Land umsiedeln können, wenn die betroffenen EU-Staaten zustimmen. Derzeit gibt es jedoch keine Plattform, über die dieser Austausch stattfinden soll.
Gibt es andere Wege, in Deutschland zu bleiben?
Auf Grundlage des Aufenthaltsgesetz § 24 zum vorübergehenden Schutz können Flüchtende eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Aber es gibt noch weitere Möglichkeiten, Fliehende können auch andere Gründe angeben. Zum Beispiel, ein Studium oder Ausbildung zu beginnen oder abzuschließen, als Fachkraft in Deutschland zu arbeiten oder die Familie zusammen zu führen. Alle diese Begründungen können zu einem längerfristigen Aufenthaltstitel in Deutschland führen.
Dennoch gelten unter diesen Gründen einige Einschränkungen. Ausländische Studierende müssen beispielsweise einen Studienplatz und finanzielle Mittel im Wert von 10.332 € vorweisen können, um einen Aufenthaltstitel zu erhalten.
Was ist der "temporary protection mechanism"?
Die EU-Richtlinie des vorübergehenden Schutzes heißt auf Englisch "temporary protection mechanism". Auf Deutsch wird sie häufig als "Massenzustromrichtlinie" bezeichnet, "Richtlinie über temporären Schutz" wäre aber die korrekte Übersetzung. Der Mechanismus wurde 2001 unter dem Eindruck des zweiten Balkan-Kriegs in das EU-Recht aufgenommen. Die Regelung sollte eine Lehre aus der Situation Vertriebener aus dem Kosovo sein, um in Zukunft schnell und unbürokratisch Menschen unter Schutz stellen zu können.
Wenn die EU-Mitgliedsstaaten den temporary protection mechanism aktivieren, passieren zwei Dinge. Einerseits stellen sie damit fest, dass so viele Menschen in die EU fliehen, dass damit das konventionelle Asylsystem überfordert wird. Andererseits erhalten damit Flüchtende sofort rechtlichen Schutz.
Zudem birgt die Richtlinie einen Mechanismus zur EU-internen Umverteilung von Flüchtenden. 2003 wollte Spanien mit Hilfe der Regelung irakische Kriegsflüchtlinge schützen, 2011 forderten Malta und Italien die Aktivierung für Flüchtende aus Libyen. Das Europäische Parlament beantragte 2015 den Schutz syrischer Kriegsflüchtlinge mit Hilfe der Regelung. Die EU-Staaten konnten sich jedoch bisher nie auf einen Verteilmechanismus einigen, daher scheiterten die Bemühungen und jeder Staat betrieb eigene Initiativen.
Diesmal einigten sich die Innenminister auf einen freiwilligen Verteilmechanismus. Die EU-Mitgliedsstaaten sollen lediglich anzeigen, über wieviel Kapazität sie verfügen. Flüchtende können in einen anderen Mitgliedsstaat umsiedeln, wenn dieser zustimmt. Asylrechtsexperten bewerten dieses System als flexibler, da es Flüchtenden entgegen der eigentlich geltenden Dublin-Verordnung Freizügigkeit innerhalb der EU gewährt.
Die Aktivierung des Mechanismus bringt daher verschiedene Vorteile. Flüchtende, die von der Regelung erfasst sind, erhalten Zugang zum Sozialsystem, die Mitgliedstaaten müssen sich etwa um eine Wohnung und für Kinder auch um den Schulunterricht kümmern. Zudem erhalten alle, die von der Regelung eingeschlossen sind, umgehend in allen EU-Staaten eine Arbeitserlaubnis.
Darüber hinaus bringt die Regelung insbesondere für Asylbehörden Entlastung, da nun nicht mehr Einzelfälle geprüft werden müssen.
Dieser Text wurde am 2. März zuerst veröffentlicht und am 15. März aktualisiert.