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Aserbaidschaner wollen weniger Populismus

Vladimir Müller6. November 2005

Am Sonntag wird in Aserbaidschan gewählt. Im In- und Ausland sieht man diesem Tag skeptisch entgegen. Die demokratischen Kräfte in diesem Teil der früheren Sowjetrepublik sind verschwindend gering.

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Präsident Ilcham Alijew: Wird er sich durchsetzen?Bild: AP

Es könnte ein reiches Land sein - mit jährlich 10 bis 15 Prozent Wirtschaftswachstum dank riesiger Ölvorkommen: In Aserbaidschan, der früheren Sowjetrepublik am Kaspischen Meer, sind aber zum märchenhaften Reichtum bisher nur einige Oligarchen gekommen. Etwa die Hälfte des 8-Millionen-Volkes lebt unter der Armutsgrenze, Hunderttausende haben das Land verlassen. Zugleich aber formiert sich Widerstand in dieser säkularen Republik, in der 90 Prozent der Bevölkerung Muslime sind. Seit Monaten gehen Tausende auf die Straßen, um gegen das Regime des Präsidenten Ilcham Alijew zu demonstrieren.

Wahlfälschung befürchtet

Demonstrationen in Aserbeidschan
Gegen Demonstranten geht man in Aserbaidschan hart vor.Bild: AP

Es gab etliche Verletzte und Verhaftete im Vorfeld der Wahlen. Die Polizei ging zum Teil brutal gegen Demonstranten vor, wenn diese gleiche Chancen für alle Parteien, Versammlungsfreiheit oder den Rücktritt des Präsidenten forderten. Die Befürchtungen der Opposition: erneute Wahlfälschung durch die regierende Partei "Neues Aserbaidschan" (YAP) - wie bei den Präsidentschaftswahlen 2003. Auch der Europarat ist besorgt: "Die aserbaidschanischen Behörden setzen sich nicht für die Abhaltung demokratischer Wahlen ein, die im Einklang mit den Werten des Europarates stehen", so seine Bilanz vier Wochen vor den Wahlen. Elchan Nurijew, Politikwissenschaftler an der Universität in Baku, meint trotzdem: "Präsident Alijew hat wohl begriffen, dass Aserbaidschan diesmal demokratische, transparente und faire Wahlen braucht." Der von den USA und internationalen Organisationen ausgeübte Druck sei dabei hilfreich gewesen.

Finanzstarke Opposition

Einige - bescheidene - Fortschritte sind tatsächlich zu verzeichnen: Für die 125 Parlamentssitze durften sich diesmal mehr als 2.000 Direktkandidaten registrieren lassen, fünf Mal so viele wie bei der letzten Wahl im Jahr 2000. Ebenfalls nach internationalem Druck werden die Wähler am Sonntag bei der Wahl ihre Finger mit Farbe markieren lassen müssen, um einem Mehrfach-Wählen vorzubeugen. Andererseits wurde die Opposition in ihrer Arbeit von den Behörden behindert, ihre Versammlungen wurden mit Polizeigewalt auseinander getrieben. Von gleichen Chancen im Wahlkampf in gleichgeschalteten aserbaidschanischen Medien kann keine Rede sein.

40 politische Parteien gibt es in Aserbaidschan. Die drei führenden Oppositionsparteien haben sich zum Bündnis "Azadliq" ("Freiheit") zusammengeschlossen. Eine herausragende Rolle in diesem Block spielt der Chef der Demokratischen Partei und einstige Parlamentspräsident Rasul Gulijew. Er verfüge über wirtschaftliche Macht und finanzielle Unabhängigkeit, beschreibt der Politologe Elchan Nurijew und erwartet viel von ihm: "Wenn Leute wie er nach vorne streben, bedeutet das für die aserbaidschanische Führung eine Gefahr. Bislang hält diese Führung ja die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes fest in ihrer Hand."

Wie sehen die Wähler in Aserbaidschan dem Sonntag entgegen? Hier lesen Sie mehr dazu.

Landeverbot für oppositionellen Gulijew

Mitte Oktober wollte Gulijew nach zehn Jahren Exil in den USA auf dem Flughafen von Baku landen. Die Behörden verwehrten aber seinem Privatjet die Landung. Kurz darauf wurden mehrere Minister unter dem Vorwurf eines geplanten Staatsstreichs entlassen. Für Präsident Alijew ist Gulijew ein Krimineller, der dem Land mehr als 100 Millionen Dollar gestohlen haben soll. Die Opposition wiederum weist auf die seltsamen Machenschaften im aserbaidschanischen Innenministerium hin: Der Leiter der Abteilung für Verbrechensbekämpfung zum Beispiel war selbst Kopf einer Gangsterbande, die sich mit Morden und Entführungen hervorgetan hatte. Mit Hilfe der amerikanischen FBI konnte er vor einigen Monaten überführt werden.

Wähler misstrauen Regierung wie Opposition

Kein Wunder, dass die Menschen in Aserbaidschan wenig Vertrauen in die Politik haben. Der unabhängige Kandidat Balakishi Gasimow beobachtet unter seinen Landsleuten Verdrossenheit - sowohl mit Blick auf die Opposition wie auch hinsichtlich der Regierung. "Die Menschen wollen Veränderungen, sie wollen, dass im Parlament mehr Technokraten sitzen und keine Populisten. Sie wollen junge Leute, die neue Lösungen suchen, ohne Korruption, und die ihre Fähigkeiten zum Wohle des Landes einsetzen."

Der 27-jährige Wirtschaftsberater Gasimow steht wohl selbst für diesen neuen Politikertyp. Da Wahlkampfwerbung in den Medien nur für Parteien umsonst ist, hat er persönlich mehr als 1.000 Haushalte besucht und versucht, den potenziellen Wählern sein Programm zu erläutern. Sein Ziel ist eine liberale Wirtschaftspolitik, die auch Kleinunternehmer fördert. "Der Mittelstand soll zum Rückgrat der Wirtschaft werden. Und es muss zu Veränderungen im sozialen Bereich kommen", sagt Gasimow.

Einweihung einer Oelpipeline zwischen Aserbaidschan und der Türkei
Hoffnung für die Wirtschaft: Eine neue Pipeline.Bild: AP

Eine Revolution steht nicht an

Bisher bezieht die Wirtschaft in Aserbaidschan ihr Entwicklungspotential fast ausschließlich aus den Öl- und Erdgasvorkommen des Landes, die sich hauptsächlich unter dem Kaspischen Meer befinden. Ende Mai wurde in Baku mit Hilfe von anglo-amerikanischen Investoren die mit 1.800 Kilometern längste Öl-Pipeline der Welt eröffnet - sie führt über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Das Drei-Milliarden-Dollar-Projekt lässt die Erschließung der Ölproduktion in Aserbaidschan geradezu explodieren. Politologe Elchan Nurijew aus Baku verspricht sich von diesem Projekt nachhaltige politische Stabilität. "Ich glaube, dass daran sowohl Russland als auch die USA interessiert sind."

Mit einer wie auch immer gearteten Revolution - wie vor einem Jahr in der Ukraine, davor in Georgien und im Frühjahr in Kirgisien - rechnen die politischen Beobachter in Baku nicht. Auch der Westen scheint eher auf den jetzigen Machthaber gesetzt zu haben, vorausgesetzt, es finden keine Wahlfälschungen statt und der ausufernden Korruption wird ein Riegel vorgeschoben. Denn Aserbaidschan gehört zu den zehn korruptesten Staaten der Welt. Auch der unabhängige Kandidat Gasimow gibt zu: "Ich sehe niemanden in der Opposition, der höhere Popularitätswerte hätte als der Präsident."