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Großes Lob mit kleinen Einschränkungen

9. Oktober 2009

Deutsche und internationale Zeitungen begrüßen die Entscheidung der Stockholmer Akademie zur Vergabe des Literaturnobelpreises; allerdings gibt es auch einige kritische Stimmen.

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Lob und Kritik für Herta Müller, die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin
Lob und Kritik für Herta MüllerBild: Carl Hanser Verlag

"Bei mir ist noch gar nichts angekommen. Ich bin so wie abgeschaltet. Gefühlsmäßig sagt es mir noch nichts. Ich bin jetzt ganz stoisch, ich bin es ja auch nicht, es sind ja die Bücher", sagte Herta Müller unmittelbar nach der Bekanntgabe durch das Nobelkomittee. In deutschen und internationalen Feuilletons werden Leben und Werk der aus Rumänien stammenden deutschen Schriftstellerin ausführlich gewürdigt. Tilman Spreckelsen beispielsweise schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Es ist ein Bekenntnis zu Artistik und Ethik als zwei Seiten einer Medaille und nicht zuletzt auch zu einer zerstörten Diasporakultur und ihrer wortmächtigsten Bewahrerin". Jörg Magenau schildert Herta Müller in der "Tageszeitung" als eine Schriftstellerin, "die so kompromisslos wie keine andere die Existenzbedingungen im Zeitalter der Großideologien zur Sprache bringt – zu einer Sprache, in der all der Schrecken, den sie erlebte und den sie nicht loswerden kann, in poetischen Bildern aufgehoben ist."

Die Vergabe des Literaturnobelpreises war ein Schwerpunktthema der Feuilletons
Literaturnobelpreis im Blickpunkt der FeuilletonsBild: BilderBox

Ernest Wichner, der Leiter des Literaturhauses Berlin, schätzt an der Literaturnobelpreisträgerin ihre unbestechliche Genauigkeit und bewundert , "dass sie eine Sprache gefunden hatte für Hunger, Tod, Leid, Überlebenskampf, Opportunismus, Freude und Scham und all das unaufzählbar Viele, das den Menschen im Prozess seiner Entmenschlichung heimsucht und plagt". Auch Andrea Köhler von der Neuen Zürcher Zeitung ist von der Entscheidung der schwedischen Akademie begeistert: "Vielleicht kommt nur so, aus einem durch tausend Tode durchschrittenen Abstand zur verordneten Realität, eine Dichtung zustande, in der die Worte wieder wie Dinge sind, die es in der Realität nicht gibt. Herta Müllers Vokabular setzt die Welt wieder neu zusammen.."

Lob aus der ehemaligen Heimat

Die rumänische Zeitung "Gandul" schreibt: "Herta Müller könnte ein Beispiel für die rumänische Gesellschaft sein. Ein Zeichen, dass wir bei der Suche nach der Wahrheit nicht resignieren sollten, auf das Gedächtnis nicht verzichten dürfen, und dass von der Klärung der Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft abhängen." Die russische Tageszeitung "Kommersant" würdigt die Entscheidung des Nobelpreiskomitees; dieses "stellt Müller jetzt in eine Reihe aller Schriftsteller, die gerechte Ideen verfechten oder Minderheiten und Unterdrückte schützen". Und "El País" aus Madrid schreibt: "Dieser Nobelpreis ist eine Anerkennung für jene, die keine Stimme haben".

Freude bei Feministinnen und Funktionären

Als mutige Kämpferin gegen den Totalitarismus hat auch der französische Außenminister Bernard Kouchner die neue Literaturnobelpreisträgerin gewürdigt. Die Schriftstellerin habe ungeachtet von Verfolgung und Zensur persönlichen Mut unter Beweis gestellt und mit ihrem Wirken auch den Widerstandsgeist ihrer Landsleute geweckt: “Dank ihr haben die Gegner des Totalitarismus eine starke und beharrliche Stimme finden können“. Dagegen war im Pariser „Figaro“ zu lesen: "Es ist eine neue Enttäuschung für anerkannte Autoren. Allein die Feministinnen freuen sich darüber, dass nach der Britin Doris Lessing und der Österreicherin Elfriede Jelinek Herta Müller die dritte ausgezeichnete Frau in den letzten sechs Jahren ist.“ Und die Warschauer "Rzeczpospolita" schreibt mit Blick auf die jüngsten deutsch-polnischen Meinungsverschiedenheiten: "Über den diesjährigen Literaturnobelpreis für Herta Müller werden sich nicht nur Antikommunisten und Opfer kommunistischer Verfolgung, nicht nur Feministinnen, sondern auch Funktionäre des Vertriebenenbundes freuen".

Der Literaturnobelpreisträger von 1999, Günter Grass, lobte sie wegen ihrer "sehr poetischen und ausdrucksstarken Sprache“. Sein Favorit sei allerdings eher der israelische Schriftsteller Amos Oz gewesen.

Autor: Klaus Gehrke

Redaktion: Cornelia Rabitz