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Zwischen Armutsbekämpfung und Wirtschaftsförderung

Marcel Fürstenau 11. Mai 2012

Die Europäische Union will ihre Entwicklungszusammenarbeit reformieren. Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle. Kritiker befürchten, der neue Kurs könnte mehr schaden als nützen.

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Eine Dollar-Note in zwei zu einer Schüssel geformten Händen symbolisieren das Thema Entwicklungshilfe. (© Andreas Wolf )
Bild: Fotolia

Europa orientiert sich zunehmend an Deutschland. Das gilt im Kampf gegen die ausufernde Staatsverschuldung, aber auch in der Entwicklungspolitik. Die im Herbst 2011 vorgelegte "Agenda für den Wandel" ("Agenda for Change") trägt erkennbar deutsche Züge, insbesondere beim Thema Wirtschaftsförderung. Darüber wollen die europäischen Entwicklungsminister am Montag (14.05.2012) bei ihrem Treffen in Brüssel reden. Im Kern zielt der neue Kurs auf eine erfolgreichere Armutsbekämpfung, die durch eine bessere Arbeitsteilung innerhalb der Europäischen Union (EU) erzielt werden soll. Der aus Lettland stammende EU-Kommissar für Entwicklung, Andris Piebalgs, sieht darin den Schlüssel für spür- und messbare Fortschritte.

EU-Kommissar Andris Piebalgs auf der entwicklungspolitischen Konferenz in Busan (Südkorea). (Foto: Chung Sung-Jun/ Getty Images)
Andris Piebalgs, EU-Kommissar für EntwicklungBild: Getty Images

Die 27 EU-Mitgliedsländer und die EU als Ganzes sind in der Summe mit rund 54 Milliarden Euro staatlicher Entwicklungsförderung (Stand 2010) der weltweit größte Mittelgeber. Allerdings könnte das Geld aus Sicht deutscher Entwicklungspolitiker effizienter eingesetzt werden, wenn sich die europäischen Geberländer besser abstimmten und Doppelstrukturen vermieden. Darin waren sich die Redner einer Parlamentsdebatte am späten Donnerstagabend (10.05.2012) in Berlin einig. Annette Hübinger von den regierenden Christdemokraten (CDU) verwies auf eine selbstkritische Bestandsaufnahme der Europäischen Kommission. Demnach gebe es in der Handelspolitik erhebliche Defizite bei der Abstimmung zwischen den beteiligten Ländern und Ministerien.

Privatwirtschaft soll eine größere Rolle spielen

Ein weiterer Schwerpunkt der europäischen "Agenda for Change" ist die Stärkung privatwirtschaftlicher Strukturen, von der Geber- und Nehmerländer profitieren sollen. Darauf setzt der liberale deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) seit seinem Amtsantritt 2009 in der bilateralen Zusammenarbeit. In der Praxis soll der Aufbau kleinerer und mittlerer Unternehmen in den Entwicklungsländern gefördert und der Zugang zu "Wirtschafts- und Finanzdienstleistungen" erleichtert werden, sagte Niebels Parteifreund Harald Leibrecht. "Nur so können Arbeitsplätze entstehen und die Menschen sich selber aus ihrer Armut befreien", meint der FDP-Politiker.

Portrait des FDP-Politikers Harald Leibrecht. (Foto: Patrick Seeger / dpa)
Entwicklungspolitiker Harald Leibrecht (FDP)Bild: picture alliance/dpa

Schärfste Kritikerin des deutschen und des sich abzeichnenden europäischen Kurses ist die entwicklungspolitische Expertin der Linken im Deutschen Bundestag, Heike Hänsel. In ihren Augen ist die Neuausrichtung "neoliberal". Zur Stützung ihrer These zitierte sie Textstellen aus dem umstrittenen EU-Papier: "Wachstum, gutes Geschäftsklima, Handelsliberalisierung, Stärkung des Privatsektors, Integration der ärmsten Länder in den Welthandel, Ausweitung privat-öffentlicher Projekte." Hänsel schlussfolgert aus dieser Aufzählung, es handele sich um eine "Programm für mehr Armut" und nicht für Armutsbekämpfung.

Alle befürworten Budgethilfe für Entwicklungsländer

Bei allen Meinungsunterschieden sind sich die deutschen Entwicklungspolitiker einig, dass Budgethilfe ein sinnvolles Instrument ist. Dabei handelt es sich um Geld, das direkt in die Haushalte der Empfängerländer fließt. Die Vergabe ist an Bedingungen geknüpft, allen voran sogenannte gute Regierungsführung ("good governance"). Gemeint sind damit unter anderem Maßnahmen zur Einhaltung der Menschenrechte, Pressefreiheit und Korruptionsbekämpfung. Heike Hänsel von den Linken wirft der EU allerdings vor, sie wolle den Partnerländern gleichzeitig ihr Wirtschaftsmodell aufzwingen. Als Vorbild könne Europa aber angesichts der eigenen Staatsschuldenkrise nicht dienen, kritisiert Hänsel.

Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken, am Rednerpult des Deutschen Bundestages.
Agenda-Kritikerin Heike Hänsel (Die Linke)Bild: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Thilo Hoppe von den Grünen erinnerte im Deutschen Bundestag an den Appell der Empfängerländer, der immer wieder auf entwicklungspolitischen Konferenzen, zuletzt im südkoreanischen Busan, zu hören war: Die Geberländer sollten ihre Kräfte bündeln und sich nicht verzetteln. Als Beispiel nannte Hoppe, der lange den parlamentarischen Entwicklungsausschuss geleitet hat, den gemeinsamen Aufbau eines Gesundheitssystems. Stattdessen würden Deutsche, Engländer, Niederländer und Dänen ihre eigenen Projekte hochziehen, "und davor ihre Fahne hissen". Der Grünen-Politiker will sein Beispiel sinnbildlich verstanden wissen. Allerdings entspricht es noch immer oft der Wirklichkeit. Mit Hilfe der europäischen "Agenda for Change" soll sich das ändern, hoffen ihre Befürworter.