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"Moskau sollte Baku keine Waffen verkaufen"

Nikita Jolkver8. April 2016

Der Präsident Armeniens, Sersch Sargsjan, war zu Besuch in Berlin. Im DW-Interview spricht er über den Berg-Karabach-Konflikt und die Rolle der OSZE sowie über das Verhältnis zu Aserbaidschan und Russland.

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Raketenbeschuss im Berg-Karabach-Konflikt (Foto: picture-alliance/AP Photo)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Deutsche Welle: Vor Kurzem sind die Kämpfe in der Region Berg-Karabach für wenige Tage wieder aufgeflammt. Was hat Armenien unternommen, um die Lage zu beruhigen?

Sersch Sargsjan: Wir haben alles gemacht, was möglich war. Vor etwa drei Jahren hat Aserbaidschan zwei von drei Grundprinzipien abgelehnt, die die Co-Präsidenten der Minsk-Gruppe der OSZE vorgeschlagen hatten. Es besteht darauf, den Konflikt auf der Grundlage nur eines Prinzips, nämlich des Prinzips der territorialen Integrität zu lösen. Zweitens hat Aserbaidschan über seine aggressive Haltung gegenüber Armenien hinaus sein Militärbudget um ein Mehrfaches erhöht. Auch seine kriegerische Rhetorik nimmt zu. Wir haben vorgeschlagen, dass ein Mechanismus zur Untersuchung der Zwischenfälle an der gesamten Kontaktlinie eingerichtet wird, damit präzisiert wird, wer eigentlich der Initiator dieser Kampfhandlungen ist.

Die Kampfhandlungen begannen unerwartet. Schon nach drei Tagen wurden sie eingestellt. Auch die Waffenruhe kam unerwartet. Wer war bei dieser Vereinbarung behilflich?

Wir sind nicht der Ansicht, dass diese militärischen Handlungen völlig unerwartet kamen. Dass es zu dieser Waffenruhe gekommen ist, ist auch nicht zufällig. Die Aserbaidschaner mussten sehr viele Verluste hinnehmen. Und auf der anderen Seite hat der russische Generalstabschef den armenischen Generalstabschef angerufen und gesagt, dass die Aserbaidschaner einverstanden sind, sich mit der armenischen Seite in Moskau diesbezüglich zu treffen, natürlich mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

Sersch Sargsjan während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Sersch Sargsjan während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in BerlinBild: Reuters/H. Hanschke

Experten sagen, dass sich an der Kontaktlinie bewaffnete Einheiten direkt gegenüber stehen und dass man mit der Einbeziehung von Friedenstruppen beispielsweise aus Russland die Lage entspannen könnte. Warum sind Sie dagegen?

Wir haben uns nie dagegen ausgesprochen, aber wir sind der Ansicht, dass dieser Konflikt umfassend gelöst werden muss. Im Gegenteil. Wir hatten unsere Zustimmung dazu gegeben, ein entsprechendes Dokument zu unterzeichnen, das eine umfassende Beilegung dieses Konflikts vorsah, unter anderem auch Friedenstruppen. Die Aserbaidschaner haben darauf verzichtet.

Sie sagen, dass Russland eine gewisse Rolle bei der erzielten Waffenruhe gespielt hat. Russland ist, wie Sie mal gesagt haben, ein strategischer Partner und Schirmherr Armeniens. Aber gleichzeitig liefert Moskau moderne Waffen an Aserbaidschan.

Ich habe nie gesagt, dass Russland unser Schirmherr ist, ich habe auch nie gesagt, dass irgendein Land überhaupt für Armenien ein Schirmherr gewesen ist. Russland hat nie für Armenien die Rolle gespielt, die die Türkei für Aserbaidschan spielt.

Aber Sie haben doch Russland als strategischen Partner bezeichnet?

Das ist richtig. Aber wir haben auch offen gesagt, dass wir dagegen sind, dass Russland Aserbaidschan Waffen verkauft. Wir haben aber auch immer erklärt, dass Russland unser strategischer Partner ist. Wir haben einen strategischen Vertrag mit Russland.

Auf ihrer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt haben Sie gesagt, dass die Menschen in Berg-Karabach ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Trotzdem hat Jerewan die selbsternannte Republik Berg-Karabach nicht anerkannt. Warum?

Weil das von unserer Seite ein Kompromiss ist. Wenn Armenien heute die Unabhängigkeit Berg-Karabachs anerkennen würde, würde das bedeuten, dass wir den Verhandlungsprozess zur Beilegung dieses Konflikts ablehnen. Wenn Armenien Berg-Karabach als unabhängig anerkennt, worüber sollte man dann noch verhandeln? Wir haben Berg-Karabach nicht anerkannt, um die Lage nicht noch weiter zu verkomplizieren.

Karte Aserbaidschans und Armeniens mit dem Berg-Karabach-Konflikt (Grafik: DW)

Die Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts werden im Rahmen der Minsk-Gruppe der OSZE schon mehr als zwei Jahrzehnte geführt. Setzen Sie noch Hoffnungen in dieses Format? Ist vielleicht ein neues notwendig?

Ich glaube, dass dies das beste Format ist. Man kann nicht sagen, dass die Minsk-Gruppe in all den Jahren nichts gemacht hat. Eine Veränderung des Formats wird uns nichts bringen, zumal in der Minsk-Gruppe Länder sind, insbesondere auch die drei Co-Vorsitzenden, die genug Mittel und Möglichkeiten haben, auf die Geschehnisse in Berg-Karabach Einfluss zu nehmen. Eine Veränderung will Aserbaidschan. Deutschland sitzt heute der OSZE vor. Die OSZE verfügt über ein großes Instrumentarium und kann es auch sehr effizient einsetzen. Außerdem ist Deutschland auch Mitglied der Minsk-Gruppe.

Armenien hatte sich an der EU-Ostpartnerschaft beteiligt, die ein Assoziierungsabkommen mit der EU in Aussicht stellt. Doch Ihr Land entschied sich für die von Russland angeführte Eurasische Wirtschaftunion. Warum?

Wir sind nach wie vor in der Östlichen Partnerschaft. Im Dezember haben wir einen neuen Verhandlungsprozess begonnen. Wir haben mittlerweile zwei Phasen hinter uns. Am Ende werden wir auch ein Dokument mit der EU unterzeichnen. Diesbezüglich hat es nie Druck gegeben, insbesondere seitens Russlands. Wir orientieren uns an der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit. Unser Hauptmarkt ist Russland. Unser größter Handelspartner ist Russland. Aus Russland beziehen wir alle Energieträger und andere Ressourcen. Außerdem hat uns Russland sehr günstige Bedingungen angeboten. Wir können Waren mit einer Vergünstigung von 30 Prozent beziehen. Mein Prinzip ist es, solche Entscheidungen zu treffen, die sich auch realisieren lassen.

Im Februar hatte der Deutsche Bundestag aus Rücksicht auf die Türkei die Verabschiedung einer Resolution verschoben, in der die massenhafte Ermordung von Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Genozid anerkannt wird. Wie bewerten Sie das?

Zuallererst: der Bundespräsident hatte die richtigen Worte dafür gefunden und sie im April vergangenen Jahres in seiner Rede im Berliner Dom zum Ausdruck gebracht, wofür wir sehr dankbar sind. Zweitens habe ich die Hoffnung, dass wir bis zu den Sommerferien im Bundestag auch eine entsprechende Beschlussfassung sehen, unter Beteiligung aller Fraktionen.

Sersch Sargsjan ist seit dem Jahr 2008 Staatspräsident Armeniens.

Das Gespräch führte Nikita Jolkver.