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Arianne im Land der Altenheime

Madelaine Meier2. Mai 2016

Einen fremden Menschen waschen, anziehen, versorgen. Arianne Kenfack arbeitet in Deutschland als Altenpflegerin. Ein Job, den es in ihrer Heimat Kamerun gar nicht gibt - und der sie anfangs große Überwindung kostete.

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Arianne Kenfack im Caritas Altenheim St. Augustin (Foto: Madelaine Meier/DW)
Bild: DW/M. Meier

"Wenn es wehtut, sagen Sie Bescheid." Arianne Kenfack stülpt die engen Kompressionsstrümpfe vorsichtig über die geschwollenen Beine der Patientin. Der Stoff will kaum nachgeben. Mit Gummihandschuhen zieht Arianne ihn Zentimeter für Zentimeter nach oben. Sie versucht, sich die Anstrengung nicht anmerken zu lassen.

"Ich freue mich, wenn ich Menschen helfen kann. Das macht mich glücklich", sagt die 24-jährige Kamerunerin. Sie macht seit fünf Monaten eine Ausbildung zur Altenpflegerin bei der Caritas in Sankt Augustin bei Bonn. Die Handgriffe klappen schon flüssiger, sie kennt die Krankengeschichte der Patienten und weiß, wie sie auf jeden eingehen muss. Endlich sitzen die Kompressionsstrümpfe bei Ariannes Patientin. Die ältere Dame ist zufrieden. Sie sei von Anfang an gut mit Arianne zurechtgekommen: "Sie passt schön auf, dass nichts wehtut beim Arbeiten."

Zu Beginn hat Arianne der Job einiges an Überwindung gekostet. "Ich hatte wirklich Angst. Ich hatte noch nie einen Fremden angefasst, der nackt im Bett liegt." Arianne befürchtete, dass die Patienten sich unwohl fühlen könnten, wenn sie sie berührt - oder dass sie ihnen sogar wehtun könnte. "Aber meine Chefin hat mir gezeigt, wie man das macht. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und merke, wie die Angst von Mal zu Mal weniger wird."

Deutschland: Das "Altenheim Europas"

Arianne Kenfack (Foto: Madelaine Meier/DW)
Arianne Kenfack aus Kamerun macht seit wenigen Monaten eine Ausbildung zur KrankenpflegerinBild: DW/M. Meier

Wenn man Arianne vor vier Jahren gesagt hätte, welchen Beruf sie heute lernt, dann hätte sie ihn wohl erstmal googeln müssen. Altenpflege - so etwas kannte sie aus ihrer Heimat Kamerun in Westafrika nicht. "Bei uns kümmern sich die Familienangehörigen um die Großeltern. Ich habe früher auch meine Oma gepflegt, ihr Essen gemacht oder ihre Kleidung gewaschen." Man müsse fairerweise aber auch sagen, dass es in Kamerun weniger Arbeit gebe, sagt Arianne. Hier in Deutschland sei jeder so beschäftigt, dass die Zeit für die Pflege der Eltern und Großeltern fehle. "Ich sehe aber auch andere, bei denen es einfach Faulheit ist. Die lassen ihre Eltern einfach im Stich. Das könnte ich nicht."

Arianne Kenfack kam vor knapp vier Jahren nach Deutschland, um mit ihrem deutschen Mann zusammenzuleben. Inzwischen lebt das Paar getrennt und sie muss allein den Lebensunterhalt für sich und ihren dreijährigen Sohn bestreiten. Eine Cousine, die schon länger in Deutschland lebte, gab ihr damals den Rat, sich in der Altenpflege zu bewerben. "Sie sagte: Arianne, in diesem Beruf wird es dir nie an Arbeit fehlen. Das ist ein guter Beruf, wenn du dich in Deutschland integrieren möchtest", erinnert sich die Kamerunerin. Sie suchte nach geeigneten Stellen und fand im Internet die Seite des Bonner Vereins für Pflege- und Gesundheitsberufe.

Starthilfe auf dem Arbeitsmarkt

Der Verein hat vor knapp einem Jahr ein Projekt gestartet, das sich ausschließlich an Mütter mit Migrationshintergrund richtet. Die Teilnehmerinnen bekommen einen Deutschkurs, lernen die Grundlagen der Altenpflege und werden bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützt. "Die Frauen können sich erst einmal informieren, was der Pflegeberuf eigentlich ist und ob er für sie überhaupt in Frage kommt", erzählt Shilan Fendi, die Leiterin des Projekts.

Shilan Fendi (l.) vom Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe (Foto: Madelaine Meier/DW)
Projektleiterin Shilan Fendi übernimmt manchmal auch den Unterricht in der BerufsschuleBild: DW/M. Meier

Sie weiß, wovon sie spricht. Die Kurdin ist mit ihren Eltern nach Deutschland gezogen, als sie sieben Jahre alt war. Auch wenn sie die meiste Zeit ihres Lebens in Deutschland gelebt hat und akzentfrei Deutsch spricht - sie kann sich gut einfühlen in die Frauen, die hier in Deutschland auf der Suche sind nach einem festen Job, der ihnen Unabhängigkeit gibt. Die Sprachbarriere führe häufig dazu, dass die Frauen unterschätzt würden. "Es sind alles unterschiedliche Frauen mit unterschiedlichen Biografien. Einige haben einen Studienabschluss, andere machen hier ihren Schulabschluss nach." Mehr als 60 Frauen haben bisher an dem Projekt teilgenommen. Über die Hälfte kommt aus afrikanischen Ländern, so wie Arianne. Andere kommen aus dem Iran, dem Kosovo oder aus Ecuador.

Fachkräftemangel in Pflegeberufen

Das Programm wird von der Bundesregierung finanziert, die schon seit Jahren versucht, Migranten in Pflegeberufe zu vermitteln. Denn die demographische Entwicklung in Deutschland zeigt, dass es immer mehr alte, pflegebedürftige Menschen gibt. Gleichzeitig fehlen gut ausgebildete Altenpfleger, denn der Beruf hat ein schlechtes Image. Schichtdienst, schwere körperliche Arbeit und die geringe Bezahlung lassen die Bewerber nicht gerade Schlange stehen.

Das merkt auch Beate Holl. Sie leitet die ambulante Pflege der Caritas in Sankt Augustin und hat vor einigen Monaten auch Arianne Kenfack einen Ausbildungsvertrag angeboten. Es sei schwierig, so motivierte Auszubildende wie Arianne zu finden, erzählt die gelernte Krankenschwester. Und es ärgert sie, dass es immer wieder pauschal hieße, Migranten könnten die fehlenden Fachkräfte in der Altenpflege einfach ersetzen: "Wir können nicht alle Leute als ungelernte Arbeitskräfte einstellen." Gerade in der Kranken- und Altenpflege brauche man ein gutes medizinisches Hintergrundwissen. "Der Job ist nicht damit getan, dass die Menschen satt und sauber sind." Und längst nicht jeder sei für den Pflegeberuf gemacht, sagt Holl. Doch wenn jemand motiviert und fleißig ist und gut Deutsch spricht - "dann ist es auch egal, wo der Bewerber herkommt."

Arianne Kenfack mit Sohn Kenny (Foto: Madelaine Meier/DW)
Arianne Kenfack mit ihrem dreijährigen Sohn KennyBild: DW/M. Meier

Arianne spricht fließend Deutsch. Wörter wie 'Blutzuckermessgerät' oder 'Medikamentenverordnung' kommen ihr inzwischen stolperfrei über die Lippen. Doch in der Berufsschule muss sie trotzdem mehr ranklotzen als ihre deutschen Mitschüler. "Wenn ich perfekt Deutsch sprechen würde, dann hätte ich gar keine Probleme im Unterricht. Das stört mich."

Der Unterricht ist für sie eine doppelte Herausforderung: Sie muss nicht nur den Stoff pauken, sondern auch noch spezielle Vokabeln lernen. Doch Arianne ist ehrgeizig. Sie gehört zu den Klassenbesten. Und aus dem Pflegealltag weiß sie: Verständigungsprobleme haben nicht immer mit der Sprache zu tun. "Wenn jemand zum Beispiel keine Zähne mehr hat, dann verstehe ich ihn einfach nicht. Dann beobachte ich sein Gesicht und seine Gesten, und versuche so herauszufinden, was er mir sagen will."