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Der erbitterte Kampf ums Grundeinkommen

Tobias Käufer Buenos Aires
28. Juli 2022

Die Krise in Argentinien befeuert die Diskussionen um die Einführung eines Grundeinkommens. Befürworter mobilisieren die Straße, Kritiker fürchten noch mehr Staat.

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Demonstration für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Buenos Aires
Demonstration für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Buenos AiresBild: Tobias Käufer/DW

Ein paar Tausend Gewerkschaftler sind gekommen und versuchen die Puente Pueyrredon, eine der wichtigen Verbindungsbrücken zwischen dem Umland und der Hauptstadt Buenos Aires, zu sperren. Die Wut auf der Straße in Argentinien ist groß. Innerhalb weniger Tage verlor der argentinische Peso gegenüber dem Dollar rund 40 Prozent an Wert, die Konsequenzen sind vor allem für die arme Bevölkerung dramatisch. Die Preise steigen - oder wie es Sozialaktivist Juan Grabois ins Mikrofon ruft: "Was kann man denn mit 1000 Pesos heute noch kaufen?"

Mindesteinkommen garantieren

Die stetig steigenden Preise und die Inflation haben die Debatte über eine argentinische Version des bedingungslosen Grundeinkommens (Salario Universal) ausgelöst. Dieses soll die Lücke schließen, unter der vor allem die einkommensschwache Bevölkerung leidet, für die das Geld angesichts ständig steigender Preise einfach nicht mehr reicht.

"Wir müssen ein Mindesteinkommen für diejenigen garantieren, die weder gewerkschaftlich noch durch Tarifverträge noch durch staatliche Vorschriften geschützt sind", erklärt Grabois im Gespräch mit der DW seinen Vorstoß, der von zahlreichen Demonstrationen in argentinischen Städten unterstützt wird. Grabois wird als Stimme der Armen zunehmend populärer in Argentinien.

Der Sozialaktivist Juan Grabois
Der Sozialaktivist Juan Grabois (Bildmitte)Bild: Tobias Käufer/DW

Umverteilung soll Einnahmen generieren

"Ohne dieses Mindesteinkommen ist die Gesellschaft zutiefst ungerecht, sonst gibt es einen Sektor von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die keinen Schutz haben und dann fallen sie in Argentinien nicht in Armut zurück, sondern geraten in extreme Armut, in Bedürftigkeit, sagt Grabois. Finanziert werden soll der Vorschlag durch Umverteilung. "Nehmen Sie das eine Prozent heraus, die die großen Unternehmen bilden, die immer in allen Krisen gewinnen. Und stellen Sie diese Mittel den ärmsten Sektoren der Gesellschaft zu Verfügung."

Die Idee findet in Argentinien vor allem im linksfundamentalen Lager immer mehr Anhänger. Parlamentarierin Victoria Tolosa Paz spricht sich für eine Debatte aus, allerdings ohne "das Geschrei auf der Straße". Das forsche Auftreten Grabois als Anführer dieser Bewegung ist im Lager von Präsident Alberto Fernandez umstritten, zumal Grabois mit seinen Forderungen und Protestmärschen das eigene Regierungsbündnis massiv unter Druck setzt.

Genaue Definition des Grundeinkommens fehlt

Hinzu kommt: "Bislang ist noch gar nicht genau definiert, wie ein Salario Universal eigentlich ausgestaltet wird", sagt Wirtschaftsberater Carl Moses aus Buenos Aires im Gespräch mit der DW. Das gibt Raum für politische Spekulationen. Für einen Vier-Personen-Haushalt liegen die Kosten für die sogenannte Canasta Basica Alimentaria bei 100.000 Pesos. Bis zu dieser Summe müsste der Staat also das Einkommen aufstocken, damit der Lebensunterhalt der einkommensschwachen Familien gesichert ist.

Die Canasta Basica Alimentaria ist die rechnerische Zusammenstellung eines Warenkorbs durchschnittlicher Güter und Dienstleistungen, um den Preisindex sowie die Inflation zu ermitteln. Sie gilt als Gradmesser für die Lebenshaltungskosten. Und die kennt derzeit nur eine Richtung: steil nach oben.

Der Vorschlag eines Grundeinkommens sei ein Schritt in die falsche Richtung, kritisiert dagegen Rebeca Fleitas, Parlamentarierin der marktliberalen Partei La Libertad Avanza in Buenos Aires. "Das würde bedeuten: noch mehr Staat. Wir brauchen aber genau das Gegenteil, um die strukturellen Probleme der argentinischen Wirtschaft zu lösen. Nämlich mehr privates Unternehmertum, mehr Wettbewerb, mehr Markt, um die argentinische Wirtschaft zu stärken." Parteichef Javier Milei wirbt seit Jahren für eine Dollarisierung der Wirtschaft, um das Land zu stabilisieren.

Die liberale Abgeordnete Rebeca Fleitas
Die liberale Abgeordnete Rebeca FleitasBild: Tobias Käufer/DW

Richtungsweisende Entscheidungen

Für das Wochenende sind neue Proteste in Argentinien angekündigt. Der Druck auf die Regierung von Präsident Alberto Fernandez wächst, um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise für die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten auszugleichen. Fernandez reagierte zuletzt mit einem Wechsel an der Spitze des Wirtschaftsministerium, zudem brachte er einen sogenannten Soja Dollar ins Spiel, um das wegen der Währungsschwankungen festgefahrene Vermögen der Landwirtschaft zu mobilisieren. Von beiden Entscheidungen hängt auch ab, wie sich die politische Stabilität des Landes und damit der Regierung weiterentwickelt.