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Arbeitsmarkt: Europäische Nachbarn stehen Modell

Oliver Schilling13. Oktober 2003

Gerhard Schröder will drastische Sozialkürzungen. Dabei orientiert sich der Bundeskanzler an den Systemen der europäischen Nachbarn.

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Fordert Einschnitte: Bundeskanzler Gerhard SchröderBild: AP

Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers sollte ein politischer Befreiungsschlag sein. Seine Partei steckt derzeit in einem Umfragetief und musste deutliche Niederlagen bei mehreren Landtags- und Kommunalwahlen verkraften. Vor mehreren Wochen bereits hatte Bundeskanzler Schröder daher eine Rede zur Reform des Sozial- und Arbeitsmarktpolitik angekündigt.

Frau auf dem Flur von Arbeitsamt
Bekommen bald nur noch Sozialhilfe: Langzeitarbeitslose in GelsenkirchenBild: AP

Kernstück der Vorhaben ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die Lockerung des Kündigungsschutzes in Kleinbetrieben. Damit orientiert sich Gerhard Schröder an den Systemen der europäischen Nachbarn. So gibt es beispielsweise in Dänemark weder einen Kündigungsschutz noch Arbeitslosenhilfe. Auch in Spanien, Italien, Irland und Portugal erhalten Arbeitslose keine Arbeitslosenhilfe, wenn das Arbeitslosengeld ausläuft.

Skandinavien und Niederlande als Vorbilder

"Tendenziell gelten Skandinavien und die Niederlande der Bundesregierung als Vorbild bei der Arbeits- und Sozialpolitik", erklärt Heinz Werner, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Gespräch mit DW-WORLD. Allerdings sind in skandinavischen Ländern und den Niederlanden die Leistungen für Arbeitslose im Schnitt höher als in Deutschland. So erhalten alleinstehende Arbeitslose in Schweden mit 71 Prozent ihres letzten Gehaltes etwa zehn Prozent mehr Geld als in Deutschland. Gleichzeitig sind die Lohnnebenkosten - die Beiträge für die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung - in diesen Ländern geringer als in Deutschland. Spitzenreiter bei den Lohnnebenkosten im europäischen Vergleich ist Belgien. Deutschland liegt an Platz zwei mit durchschnittlich 42 Prozent Lohnnebenkosten.

Auch bei der Kürzung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld folgt Schröder dem Modell anderer Ländern wie Dänemark und der Schweiz. Dort bekommen Arbeitslose zwar ein paar Prozente mehr Arbeitslosengeld als in Deutschland, dies aber nur für insgesamt sechs Monate. Wer länger Geld beziehen möchte, muss nachweisen, dass er sich aktiv um eine neue Stelle bemüht.

Handwerk passt sich europäischen Standards an

Friseur
Bald auch in Deutschland: Friseursalons ohne MeisterbriefBild: Bilderbox

Die Reformen des Handwerks bedeuten ebenfalls eine Angleichung an europäische Standards. So soll der Meisterbrief in den meisten Handwerksberufen keine Voraussetzung zur Betriebsgründung mehr sein, erklärte Schröder vor dem Bundestag. In anderen europäischen Ländern kennt man den Meisterbrief ohnehin nicht. "In Italien und Dänemark repariert derjenige ein Auto, der es kann und nicht der, der einen Meisterbrief hat", sagt Ulrike Guérot von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit DW-WORLD.

Unterdessen sind sich Fachleute einig, dass letztendlich nur ein Konjunkturaufschwung zu mehr Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt führt. "Die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe sowie die Aufweichung des Kündigungsschutzes bedeutet nicht automatisch eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt. Was wir brauchen, ist wirtschaftliches Wachstum und eine Verringerung der Lohnnebenkosten", betont Arbeitsmarkt-Experte Werner. Die Bundesregierung geht in ihren Prognosen für dieses Jahr von einem Wirtschaftswachstum zwischen 0,4 und 0,6 Prozent aus. Für eine Ausweitung der Beschäftigung ist nach Auffassung von Wissenschaftlern jedoch ein Wirtschaftswachtum von mindestens 1,5 Prozent notwendig.