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Digitale Arbeitsnomaden

Matilda Jordanova-Duda1. Mai 2013

Arbeit findet heute nicht mehr nur im Büro und nach der Zeituhr statt, sondern überall und jederzeit. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Auswirkungen des digitalen Wandels untersuchen lassen.

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Laptop im Café St. Oberholz. Aufnahmedatum: 10.04.2013 Foto: Aya Bach Copyrigth: DW/Aya Bach
Berlin Café St. OberholzBild: DW/A. Bach

"Samstags gehört Papi mir!", mit diesen Plakaten standen die Gewerkschaften früher noch vor dem Werkstor erinnert sich Lothar Schröder, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft ver.di. Heute rufen die Angestellten ihre dienstlichen Mails am Wochenende und im Urlaub ab, greifen von überall auf Firmendaten zu, bearbeiten Dokumente gemeinsam mit Kunden und Kollegen aus anderen Zeitzonen - auch mal nachts.

Um diese "digitalen Nomaden" zu erreichen, gehen die Gewerkschaften selbst ins Netz, sagt Schröder, der auch jederzeit erreichbar sein soll: "Ich glaube, dass man sich der Leidenschaft der Menschen stellen muss, die Autonomie zu nutzen, heute hier und morgen dort zu arbeiten. Es muss nur Grenzen für die Länge und die Dichte der Arbeit geben". Die Indikatoren von Belastung dürften auch ruhig subjektiv sein.

"Gute" digitale Arbeit, die existiere auch. So zum Beispiel die Telearbeit von Zuhause aus als Alternative oder im Wechsel mit dem Bürojob. Die Studie "Digitale Arbeit in Deutschland - Potenziale und Problemlagen", der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung, geht von den Interessen der Erwerbstätigen aus. Obwohl Telearbeiter oft frühmorgens, spätabends oder am Wochenende am Computer sitzen und manche unbezahlte Überstunde leisten, loben sie laut der Studie den Wegfall von Fahrtzeiten und die Möglichkeit, etwas mit den Kindern zu unternehmen. Die Mehrheit der Angestellten würde gern hin und wieder von Zuhause aus arbeiten. Allerdings haben nur knapp elf Prozent der Unternehmen Telearbeit im Angebot.

Foto von der Diskussion zum Thema "Digitale Arbeit in Deutschland - Potenziale und Problemlagen" am 25.4. in der Friedrich-Ebert-Stiftung Köln. Von links sind das Lothar Schroeder, Michael Schwemmle, der Moderator Manfred Kloiber, Marianne Janik und Goetz Hamann von der "Zeit". Fotograf: Claudio Kerst Bild wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verfügung gestellt
Die Studie zur digitalenArbeit wurde in Köln vorgestellt.Bild: Claudio Kerst

Aus freien Stücken?

Viele Arbeitnehmer würden gern selbst bestimmen, wo und wann sie arbeiten. Diese Optionen werden aber noch zu wenig angeboten, behauptet der Sozialwissenschaftler Michael Schwemmle, Mitverfasser der Studie. Die heute übliche "mobile Arbeit" wählt man meist nicht aus freien Stücken, sondern um die Zielvorgaben des Vorgesetzten zu erfüllen. Nach den acht Stunden im Büro erwartet mancher Arbeitgeber weiterhin Erreichbarkeit und kurze Reaktionszeiten. Ergebnis: Es ist kein "Abschalten" mehr möglich. Smartphones und Tablets mögen zwar stylish sein, ergonomisch seien sie nicht: Auf Dauer verursachten die kleinen Tastaturen und spiegelnden Monitore bei schlechter Beleuchtung Gesundheitsprobleme, so die Studie.

Zwar schützt das deutsche Arbeitsrecht die Angestellten vor vielen Zumutungen,  aber wer soll etwas kontrollieren, das sich außerhalb des Betriebs abspielt? Schwemmle schlägt vor, sich dafür der Technik zu bedienen: Zugänge zu betrieblichen Systemen könnten außerhalb eines festgelegten Zeitfensters unterbunden werden. Als Vorbild gilt dabei die E-Mail-Sperre des Autokonzerns Volkswagen. Nur das obere VW-Management und außertariflich bezahlte Angestellte sind von der Sperre "verschont". Denkbar wäre auch, über die Logins des Arbeitnehmers herauszufinden, ob Arbeit nachts oder sogar sonntags geleistet wurde. Das wiederum könnte dann Zuschläge oder einem höheren Freizeitausgleich mit sich bringen.

Mutter mit Kind und Laptop Foto: Fotolia/lumen-digital
Dank digitaler Arbeit mehr Zeit für die FamilieBild: Fotolia/lumen-digital

Die Unerreichbaren schützen

Schwemmle plädiert auch für ein "Recht auf Nichterreichbarkeit", das im Tarifvertrag, in der Betriebsvereinbarung oder sogar im Gesetz verankert sein muss. In der konkreten Situation müsse es jeder zwar selbst durchsetzen, aber das sei einfacher, wenn es bereits allgemein gültige Regelungen gäbe. "Erleichtert wird es dann, wenn man eine institutionelle Interessenvertretung, also einen Betriebs- oder Personalrat, zur Seite hat", so der Forscher.

"Alle Software-Funktionen lassen sich auch ausschalten", sagt Marianne Janik, bei Microsoft Deutschland zuständig für das Geschäft mit der öffentlichen Hand. Sie appelliert vor allem an die Selbstverantwortung der Nutzer und an deren Medienkompetenz. Diese sollte schon in der Schule und für die ältere Generation in Weiterbildungen vermittelt werden. Doch auch für Führungskräfte sei die Digitalisierung ein neues Gebiet: Sie müssten geografisch verteilte Teams zusammenhalten und ein Gespür für die Belastung von Mitarbeitern entwickeln, die sie nicht immer vor Augen hätten.

Innanansicht Café St. Oberholz: Frauen am Laptop. Foto: Aya Bach
"Digitale Arbeitsnomaden" in einem Berliner CaféBild: DW/A. Bach

Soll doch jeder für sich selbst entscheiden?

Viele Arbeitnehmer wollten auch die neuen Spielräume ausreizen: Weil sie ihren Beruf mögen, weil sie sich dadurch einen Karrieresprung erhoffen oder weil sie ihrem persönlichen Lebensrhythmus besser entsprechen. Die technikaffinen Microsoft-Beschäftigten haben besonders früh Erfahrungen mit der Digitalisierung gemacht. "Jeder soll die Freiheit haben, die Technik zu nutzen", meint Janik. Ganz ohne Regeln geht es auch bei Microsoft nicht. Diese würden in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ständig angepasst. Eine dieser Regeln: Sollte ein Mitarbeiter bei Microsoft den Drang verspüren, mitten in der Nacht zu arbeiten - kein Problem. Er darf aber nicht erwarten, dass sonst noch jemand mitarbeitet.

Microsoft verpflichtet seine Angestellten auch nicht zu Arbeit im Büro. Im Gegenteil: "Bei Microsoft darf jeder selbst entscheiden, wie oft er ins Büro kommt. Wenn man Familie hat, ist man vielleicht lieber Zuhause. Wenn man Single ist, vielleicht lieber im Büro", erzählt Marianne Janik. All diese Lebensformen könnten ausgelebt werden.