1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Arbeitgeber fordern ein Umsteuern bei der Zuwanderung

Sabine Kinkartz6. Juli 2006

Der deutschen Wirtschaft gehen die Fachkräfte aus. Vor diesem Hintergrund fordert Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt jetzt eine völlig neue Zuwanderungs- und Integrationspolitik.

https://p.dw.com/p/8iih
Rumänische Bauarbeiter in HannoverBild: picture-alliance / dpa/dpaweb
Ausländer in Berlin-Kreuzberg
Mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze für Migrantenkinder könnten das Integrationsproblem lösenBild: dpa

Seit Jahren schon prophezeit der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, dem Land den Fachkräftemangel und geißelt das deutsche Bildungssystem - denn es kommen zu viele Ungelernte und zu wenig Facharbeiter und Akademiker auf den Arbeitsmarkt. Die Lage wird sich wegen der demographischen Entwicklung noch verschärfen. Bis zum Jahr 2050 droht ein Rückgang von zehn Millionen Erwerbstätigen.

Jetzt geht Hundt noch einen Schritt weiter. Wenn die Facharbeiter nicht in der ursprünglich deutschen Bevölkerung zu finden sind, dann braucht das Land eben mehr Fachkräfte ausländischer Herkunft, meint er. "Eine gelungene Integration zugewanderter Mitbürger in unsere Gesellschaft ist ein ganz entscheidender Pfeiler, auf dem Zukunft und Innovationsfähigkeit unseres Landes beruht."

Falsche Einwanderungspolitik

Doch die Integration von Millionen de facto zugewanderten Menschen ist in Deutschland eben nicht gelungen. Das zeigt sich überdeutlich auf dem Arbeitsmarkt. "Dadurch dass wir vierzig Prozent der Personen mit Migrationshintergrund ohne Hauptschulabschluss und Berufsausbildung haben, muss uns nicht erstaunen, dass der Bevölkerungsanteil von Personen mit Migrationshintergrund, der dann arbeitslos ist, wesentlich höher ist", sagt Jutta Allmendinger, Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Dieter Hundt
Arbeitgeberpräsident Dieter HundtBild: dpa - Report

Die erschreckend geringe Bildung und hohe Arbeitslosigkeit unter Ausländern sind für Arbeitgeberpräsident Hundt das Ergebnis einer falschen Einwanderungspolitik. Kinder aus Migrantenfamilien würden zu wenig gefördert und gefordert. "In einer weltoffenen Gesellschaft und einer global organisierten Wirtschaft sind interkulturelle Kompetenzen gefragt", sagt Hundt. "Und deshalb ist es wichtig, dass Migrantenkinder die deutsche Sprache gut beherrschen, aber auch, dass sie ihre Herkunftssprache auf hohem Niveau weiter pflegen."

Dass die Hälfte der Migrantenkinder am Ende der Schulzeit als nicht ausbildungsfähig gilt, hat fatale Konsequenzen für die Integration. "Ich unterstreiche ausdrücklich, dass die Wirtschaft der wichtigste Integrationsmotor ist. Ohne Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze wird uns die Integration nicht gelingen", meint Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. "Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir die Verantwortung für eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen ernst nehmen."

Reformen im Niedriglohnsektor als Lösung?

Für die vielen ungelernten Ausländer fordert Schäuble Reformen im Niedriglohn-Bereich. Ohne zusätzliche Stellen in diesem Bereich drohe ein Anstieg illegal Beschäftigter. Allerdings sind mehr Stellen im Niedriglohn-Sektor das Gegenteil von dem, was die Wirtschaft mit Blick auf die Zukunft fordert. Auf der Suche nach mehr qualifizierten Fachkräften ist daher der Einsatz aller Beteiligten gefragt. So hat beispielsweise Otto Kenzler, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, die Erfahrung gemacht, dass die Wirtschaft, aber auch die Jugendlichen selbst, ihren Teil dazu beitragen können. "Ich kann nur allen Jugendlichen raten, möglichst früh zu den Betrieben Kontakt aufzunehmen, auch schon während der Schulzeit", sagt Kenzler.

Knapp 24 Prozent aller deutschen Unternehmen bilden aus, jedoch nur fünfzehn Prozent aller Unternehmen mit einem Inhaber ausländischer Herkunft. Das soll sich ändern. Die Handelskammern, allen voran die türkisch-deutsche, haben entsprechende Initiativen gegründet. Ihr stellvertretender Vorsitzender Nihat Sorgec stellt unter den türkischstämmigen Unternehmern eine wachsende Bereitschaft fest, Lehrstellen anzubieten. In Deutschland gebe es mehr als 60.000 türkischstämmige Unternehmer, die über 320.000 Leute beschäftigten und mehr als 30 Milliarden Euro umsetzten. "Laut Prognosen wird sich ihre Zahl in etwa zehn bis fünfzehn Jahren verdoppeln, so dass allein die türkischstämmigen Unternehmer so viele Menschen beschäftigen würden wie es überhaupt Türken im arbeitsfähigen Alter gibt", sagt Sorgec.

Stärkere Zuwanderung

Angesichts des drohenden Fachkräftemangels reichen solche Strategien aber nicht aus. Mit Blick auf die aktuellen Probleme fordert Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt daher Änderungen bei der Zuwanderungspolitik. Der Zuzug nach Deutschland müsse an Qualifikationen wie Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnis gekoppelt werden. "Vielfach herrscht die Auffassung vor, dass die Abschottung des Arbeitsmarktes gegen ausländische Fachkräfte zu mehr Beschäftigung von Inländern führt", sagt Hundt. "Das ist aber ein gewaltiger Irrglaube, wie die Erfahrung der letzten 30 Jahre zeigt!" Eine Zuwanderungspolitik, die sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiere, könne zu mehr wirtschaftlicher Dynamik und Beschäftigung insgesamt führen.

Eine Meinung, die auch der Chef des Münchner Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo), Hans-Werner Sinn, unterstützt. Deutschland müsse sich für eine Masseneinwanderung fit machen, denn ohne die Migranten würde der deutschen Wirtschaft in Zukunft weit mehr fehlen als die vielen Tore, die Miroslav Klose und Lukas Podolski bei der Weltmeisterschaft geschossen haben.