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Freistellung statt Kurzarbeit

Kirstin Hausen10. März 2009

Im Turiner Fiat-Werk "Mirafiori" arbeiten 15.000 Menschen. Auch die weltweite Wirtschaftskrise hat daran nichts geändert. Die Arbeiter werden nicht entlassen, sondern "freigestellt".

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Blick auf Turiner Fiat-Werk (Foto: ohne Angabe)
In Turin ist Fiat einer der großen ArbeitgeberBild: AP

Kurzarbeit gibt es in Italien nicht, auch nicht bei Fiat in Turin. Stattdessen werden mehrere tausend Angestellte und Arbeiter tage- oder wochenweise "freigestellt": Sie arbeiten nicht und bekommen aus der Lohnersatzkasse nur 60 Prozent ihres Lohns. Für Vincenzo Tripoldi sind das 780 Euro am Ende des Monats. "Viele Kollegen und auch ich mussten Kredite aufnehmen, um unsere Wohnungen weiter abzahlen zu können. Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass du eine Arbeit mit regulärem Vertrag hast und trotzdem kein Geld", sagt der Vater einer Tochter.

Ein Leben ohne Perspektive

Ein roter Fiat Panda (Foto: Fiat)
Auch Fiat trifft die Krise - und das Werk in Turin stellt seine Arbeiter freiBild: Fiat

Vincenzo lebt in einem 4000-Einwohner-Dorf vor den Toren Turins. Fast alle Freunde und Nachbarn arbeiten bei Fiat oder Zulieferbetrieben. Die Armut breitet sich aus, denn staatliche Unterstützung gebe es nicht, erklärt er. "Gute Freunde von mir leben von Essenspaketen, die ihnen das Rote Kreuz bringt." Zwar ist der gebürtige Kalabrese darauf nicht angewiesen, aber viel Hoffnung, dass sich die Lage bald wieder verbessert, hat er nicht. "Das Traurigste ist, dass überhaupt eine Zukunftsperspektive fehlt. Das merkt man auch an der Stimmung unter den Kollegen", erzählt Vincenzo.

Jeder sei allein mit den finanziellen Problemen und der Angst. Nur mit seiner Nachbarin Lilla Leone spricht Vincenzo über seine Sorgen. Sie passt auf seine kleine Tochter auf, wenn Vincenzo und seine Frau zum Sport gehen, und gehört ein bisschen mit zur Familie. Bis vor kurzem hat Lilla Leone an der Produktion des Fiat Punto mitgearbeitet. Jetzt ist auch sie freigestellt.

Das Gefühl der Nutzlosigkeit

Lilla lebt allein. Das macht es ihr leichter, die Lohneinbußen zu verschmerzen. Trotzdem wirkt die blond gelockte Frau nervös und unausgeglichen. "Die Unsicherheit ist der eigentliche Stress. Wenn jemand freigestellt ist, muss er trotzdem für die Firma erreichbar sein, weil die Produktion jederzeit wieder losgehen kann. Unser Leben ist auf den Kopf gestellt, der normale Tagesrhythmus ausgesetzt. Oft fühlt man sich zu nichts nutze, wenn man morgens aufsteht", beschreibt sie ihre Situation.

Die Logos von GM und Opel (Foto: picture-alliance/dpa/DW-Grafik)
Auch andere Autokonzerne leiden unter der WirtschaftskriseBild: picture-alliance/ dpa / DW-Montage

Der Tag fließt ohne Aufgaben und oft auch ohne soziale Kontakte vorüber, denn Geld für eine Pizza mit Freunden oder einen Kinobesuch hat Lilla im Moment nicht übrig. Die Kollegen aus der Fabrik melden sich auch nicht. "Wenn mir jemand sagt, in welchen finanziellen Nöten er steckt, was selten vorkommt, dann bittet er mich meist, es bloß nicht weiterzuerzählen. Die Scham ist zu groß", sagt sie. Lilla findet das schade. Schließlich sei die aktuelle Krise nicht die Schuld der Arbeiter. "Niemand weiß, wohin diese Krise noch führt. Wenn wir uns unsere Firma anschauen, dann müssen wir feststellen, dass sie keinerlei Zukunftsprojekte macht."

16 Jahre fehlen ihr noch bis zur Rente. Ob sie solange noch bei Fiat arbeiten wird? Lilla hofft es. An einen Jobwechsel denkt sie trotz ihres Pessimismus auch jetzt nicht. "Was soll ich denn finden? Es gibt im Moment keine Arbeitsplätze."

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