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Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden

30. Juni 2009

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Allerdings wäre Vergnügen ohne Arbeit ja viel netter. Aber das geht kaum, zeigt eine Ausstellung im Deutschen Hygiene Museum Dresden. Und erklärt den Zweck der Arbeit.

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Gestaltung: chezweitz & roseapple; Basismotiv: stormpic / aboutpixel.de
Bild: stormpic / aboutpixel.de

Die Fabrikarbeiterin steht gegen fünf auf, damit sie rechtzeitig zum Beginn der Frühschicht an ihrem Arbeitsplatz ist. Der Handwerker schläft eine halbe Stunde länger, und kurz nach sechs klingelt der Wecker bei der Lehrerin.

Arbeit als Struktur

Arbeit strukturiert unser Leben. Aber was ist das eigentlich - Arbeit? Das, wofür man bezahlt wird? Oder kann auch Computerspielen Arbeit sein? Oder Träumen? Und würde man auch dann arbeiten, wenn man nicht müßte? In fünf Abteilungen verdeutlicht die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum, wie diese und ähnliche Fragen in unserer Gesellschaft beantwortet werden und welche Widersprüche sich dabei ergeben. Und das tut die ebenso kluge wie unterhaltsame Schau auf eine verblüffende Art und Weise.

Die Video-Installation 'Arbeitsgefüge' zeigt Dominique Müller und Fabian Wegmüller [Video Noir], chezweitz & roseapple, Praxis für Ausstellungen und Theorie [Hürlimann I Lepp I Tyradellis], 2009 Bildmontage: chezweitz & roseapple
Menschen bei ihrer Arbeit, gefilmt aus unterschiedlichen Perspektiven.Bild: Bildmontage: chezweitz & roseapple

In enger Zusammenarbeit haben Wissenschaftler und Künstler nämlich Themenräume entwickelt, die wie ein mehrdimensional angelegtes Gesamtkunstwerk anmuten und dabei Menschen von heute in ihr Zentrum rücken. Keine Experten, sondern knapp einhundert Junge und Alte, Leute aus unserer Mitte, die sich in zahlreichen Film- und Videoinstallationen zu Fragen der Arbeitswelt äußern.

Faultier (Foto: David Brandt)
Sigmund Freud hat darauf hingewiesen, dass Arbeit eine vorzügliche Maßnahme zur Eindämmung von Aggression sei. Aber wo nichts ist, muss auch nichts eingedämmt werden.Bild: David Brandt

Und zu dem, was sie tun, wenn sie gerade nicht arbeiten. 'Ich kann mich ganz gut beschäftigen', hört man wiederholt. Und das ausgestopfte Faultier, das an der Wand im Eingangssaal der Schau hängt, grinst dann wahrscheinlich still in sich hinein und denkt, was Kurator Daniel Tyradellis in diese Worte fasst: "Arbeiten müssen nur die, die es nicht aushalten können, nichts zu tun".

Arbeiten, arbeiten, arbeiten

Beinahe drei Jahre lang war Tyradellis, ein promovierter Philosoph, mit der Vorbereitung der Dresdener Ausstellung beschäftigt. Hunderte von Büchern hat er gelesen und wöchentlich mit seinem Team in der "Praxis für Ausstellungen und Theorie" debattiert. Das war viel Arbeit, bis zu elf Stunden am Tag. Und doch weiß Tyradellis spätestens seit der Vorbereitung dieser Ausstellung, dass es andere gibt, die noch viel mehr arbeiten. Der Mensch sei fleissig wie eine Biene, weil die Gesellschaft kein positives Verhältnis zum Nichtstun habe.

Plakat Baustelle Gestaltung: chezweitz & roseapple; Basismotiv: Thomas Stache
Bild: chezweitz & roseapple; Basismotiv: Thomas Stache

"Wir erholen uns von der Arbeit", sagt Daniel Tyradellis, "oder wir genießen in der Freizeit das, für das wir in der Arbeitszeit gearbeitet haben, und wissen auch schon, dass das, was wir hier tun in der Freizeit, eigentlich der Arbeit geschuldet ist. Also, irgendwie entkommen wir der Arbeit überhaupt nie."

Mittel zum Zweck

Jedenfalls in der westlichen, der kapitalistischen Welt ist das so. Arbeit ist hier das Medium, um Bedürfnisse wie das Streben nach Macht, Liebe und Anerkennung zu befriedigen, den Wunsch nach Sicherheit und die Lust aufs Risiko. Arbeit ist Mittel zum Zweck und Motor des Wirtschaftswachstums. Im "Maschinenraum" der Dresdener Ausstellung setzt eine multimediale Großinstallation aus Filmsequenzen und Fotografien die Glücksversprechen, Erfolge und Niederlagen der deutschen Wohlstandsgesellschaft plakativ in Szene. Und die komplett präsentierte adidas-Sportschuhkollektion der nächsten Saison illustriert neben der Konsumentwicklung auch die Tatsache, dass man vor allem arbeitet, um Geld zu verdienen, das dann wieder ausgegeben werden soll.

Arbeit in der Krise

Dabei arbeiten die Menschen - etwa in Deutschland - immer weniger, eine der vielen Hintergrundinformationen, die eine fortlaufende Statistikspur an den Wänden der Ausstellungsräume bereithält. Arbeitsschwund infolge steigender Effizienz ist der eine Grund, mehr Maschineneinsatz der andere. Bloß rauskommen soll dennoch immer mehr. Längst bestimmen Schlagworte wie Optimierung, Effizienz und Rationalisierung die Diskussionen.

Dominique Müller und Fabian Wegmüller [Video Noir], chezweitz & roseapple, Praxis für Ausstellungen und Theorie [Hürlimann I Lepp I Tyradellis], 2009 Bildmontage: chezweitz & roseapple
Menschen bei ihrer Arbeit, gefilmt aus unterschiedlichen Perspektiven.Bild: Bildmontage: chezweitz & roseapple

Tatsächlich aber steckt die Arbeit in der Krise. Immer seltener finden Menschen dauerhaft eine Beschäftigung, immer häufiger sind sie auf staatliche Unterstützung angewiesen. Und gleichzeitig wachsen die gesellschaftlichen Unterschiede. Die einen arbeiten rund um die Uhr, können aber kaum davon leben. Andere verdienen reichlich, haben aber keine Zeit mehr für Freizeit und Erholung. Und die Arbeitswelt selbst verändert sich mit atemberaubener Geschwindigkeit. Dennoch scheint Arbeit etwas zu sein, in das man von Kindesbeinen an hineinwächst. Und dabei wird der Mensch geprägt und geformt. Immer neue Curricula und immerzu überarbeitete pädagogische Ansätze sollen zur Perfektionierung dieses Lernens fürs Leben und für die Arbeit beitragen.

Privatfilm Ausschnitt aus der Medieninstallation 'Arbeiten lernen' Anna Henckel-Donnersmarck, chezweitz & roseapple, Praxis für Ausstellungen und Theorie [Hürlimann I Lepp I Tyradellis], 2009
Die spätere Einstellung zur Arbeit wird schon in der Kindheit geprägt.Bild: Privatfilm

Zukunft der Arbeit

Dass manch einer durch Zufall zu seiner Beschäftigung kommt, verhehlt die Ausstellung keineswegs. Und sie verdeutlicht auch, wie wenig man zumeist von den einzelnen Berufen weiß. In ihrem knapp einstündigen Videofilm "Kontinuum" fragt die Filmemacherin Bärbel Freund ihren jüngeren Bruder nach seinen Berufswünschen und liest ihm dazu alle 696 von der Bundesanstalt für Arbeit aufgelisteten Berufe vor. Meistens sagt der Junge spontan "nein". Ihm fehle die nötige Begabung oder der Job sei zu anstrengend oder uninteressant. Arbeit, auch das verdeutlicht dieser Film, dient in der westlichen Welt längst nicht mehr allein dem Broterwerb, sondern vor allem der Selbstverwirklichung.

Hammerkollektion (Foto: David Brandt)
Arbeit ist Veränderung der WeltBild: David Brandt

Etwas zu können, kann glücklich machen. In der globalisierten, wirtschaftskrisengebeutelten Welt aber kommt diese Form von Glück immer mehr Menschen abhanden. Wie es weiter gehen soll? Die einschlägigen Experten, die regelmäßig die Talkshowrunden der Fernsehsender bevölkern, kennen die Antwort nicht. In einer zusammengeschnittenen Endlosschleife, zu sehen im letzten Raum der Ausstellung, kommen sie über "man muss" und "man sollte" jedenfalls kaum hinaus. Phantasievoller geht es dagegen auf einzelnen Bildschirmen zu. Hier äußern sich Insider aus dem Arbeitsleben im Jahre 2030. In Gestalt von Puppen erzählen sie zum Beispiel, dass das Maximaleinkommen längst zur Regel geworden ist und die sozialen Gehälter verzehnfacht wurden. Da macht die Arbeit dann wieder Spass. Zumal das, was lästig ist, künftig von noch mehr neuen Maschinen übernommen werden könnte. Schon jetzt gibt es einen niedlichen weißen Babyrobbenroboter, der Wärme ins Leben einsamer alter Menschen bringen möchte: mit Fiepsstimme, dankbar gehobener Flosse und glänzenden Babyaugen.

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Marlis Schaum