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Antidemokratische Stimmung

Alexander Andreev10. August 2012

Mehr als ein Drittel der Bulgaren findet, die Demokratie schade ihrem Land. Das zeigt eine aktuelle Umfrage. Fünf Jahre nach dem EU-Beitritt Bulgariens beobachten Experten anti-demokratische Tendenzen.

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Der Schatten eines Politikers der rechtsradikalen bulgarischen Partei Ataka auf einer bulgarischen Flagge (Foto: AP)
Bild: AP

Die Umfrage-Ergebnisse des bulgarischen Meinungsinstituts Mediana deuten Experten als Alarmsignal - besonders die Reaktionen auf die Frage: "Ist die Demokratie eher nützlich oder eher schädlich für Bulgarien?". 38 Prozent der Befragten erkennen einen Nutzen, und liegen damit nur knapp vor denjenigen, die mit 35 Prozent der Demokratie gegenüber eher negativ eingestellt sind.

"Wäre Bulgarien tatsächlich ein souveräner und demokratischer Staat, dann hätten wir höchstwahrscheinlich ein nationalsozialistisches Regime. Frei gewählt, wohlgemerkt, wie in Deutschland in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts", mutmaßt der Meinungsforscher Kolio Kolev und hofft, dass der Einfluss der Europäischen Union die schlimmsten anti-demokratischen Entwicklungen verhindern kann. "Die einzige Chance Bulgariens besteht darin, dass das Land als EU-Mitglied eingeschränkt souverän ist."

Das Wohlergehen der Nation steht im Vordergrund

In Bulgarien herrsche ein großes Misstrauen gegenüber den Parteien und Institutionen, erklärt der Politikwissenschaftler Antonyi Galabov: "Das schafft Freiräume für den Populismus." Galabov befürchtet, "dass die schwierige soziale Lage den aufkommenden Nationalismus anspricht." So ist die rechtsextreme und populistische Partei Ataka, die den Holocaust leugnet, ein fester Bestandteil der bulgarischen Parteienlandschaft. Sie ist auch im Parlament in Sofia vertreten.

Mehrere Männer in Schwarz demonstrieren mit bulgarischen Flaggen für die rechtsextremistische Partei Ataka (Foto: AP)
Anhänger der rechtsextremen Partei Ataka auf einer KundgebungBild: AP

Die Mediana-Umfrage bestätigt, dass der Nationalismus weit verbreitet ist. 87 Prozent der Befragten sind dementsprechend überzeugt, dass das "Wohlergehen der Nation" wichtiger sei, als die Interessen einzelner Gruppen. Fast zwei Drittel unterstützen Aussagen wie: "Falls es um das Wohlergehen der Nation geht, dürfen Minderheiten nicht protestieren oder stören" und "Ein Lauschangriff ist kein Problem für ehrliche Bürger". Die bulgarische Regierung versucht, die grassierende Korruption und die organisierte Kriminalität auch mittels eines umfassenden Lauschangriffs zu bekämpfen.

Durchgreifen mit "harter Hand"

Die Regierung wird vom Konservativen Bojko Borissov geführt, der mit einer schlagkräftigen Rhetorik immer wieder scheinbar einfache, populistische Lösungen präsentiert, die aber nicht immer umsetzbar sind. So schlug er vor, die Renten im krisengebeutelten Griechenland auf das Niveau der bulgarischen Renten zu senken - also auf 100 - 150 Euro im Monat: Damit könne man die Schuldenkrise in Griechenland schnell lösen. Der Soziologe Antonyi Todorov meint, dass die bulgarische Regierung auf "die harte Hand" als PR-Strategie setze.

Porträt des bulgarischen Premiers Bojko Borissov (Foto: dapd)
Schlagkräftige Rhetorik: Premier Bojko BorissowBild: picture-alliance/dpa

Meinungsforscher Kolio Kolev ist überzeugt, dass die meisten Bulgaren ein hartes Durchgreifen akzeptieren würden und bereit seien, für eine vermeintliche Sicherheit ihre Bürgerrechte, die Freiheit und selbst den Rechtsstaat aufzugeben. Die Mehrheit der Befragten hätte nichts dagegen, wenn die Polizei ihre Rechte einschränken würde und fast ein Drittel unterstütze die Aussage: "Leute, die nicht die richtigen Ansichten und Überzeugungen haben, dürfen im Radio und im Fernsehen nicht zu Wort kommen."

"Hass gegen Eliten"

Kolio Kolev vermutet, dass hinter diesen Einstellungen Angst, sozialer Neid und der Trieb zur Rache stecken, "vor allem aber der Hass gegen die sogenannten Eliten - gegen die Reichen, gegen die Profiteure der politischen Wende von 1989, gegen das Establishment, gegen die Medien, gegen alle, die als anders wahrgenommen werden, ob Roma, Schwule oder Juden." Beobachter warnen, dass Bulgarien auf dem besten Wege sei, zu einer der problematischen Demokratien Südosteuropas zu werden - neben Ungarn und Rumänien.

Meinungsforscher Kolio Kolev Foto DW/G.Papakotchev
Meinungsforscher Kolio KolevBild: DW

Kurz nach dem Ende des Kommunismus (1989) befürwortete eine große Mehrheit der Bulgaren Demokratie und Marktwirtschaft - doch jetzt seien diese Konzepte fast schon verpönt, erklärt Meinungsforscher Kolev im Gespräch mit der DW. Der Soziologe Andrei Raitchev sieht diese Entwicklungen im Kontext der aktuellen Wirtschaftskrise: Auch in anderen europäischen Ländern seien Bürger geneigt, eine "harte Hand" zu akzeptieren: "Die Krise krempelt Einstellungen und Werte um. In solchen Zeiten sind viele überzeugt, die Probleme könnten eher durch mehr Sicherheit als durch mehr Freiheit gelöst werden."