Anonymität soll Diskriminierung vorbeugen
15. April 2013Wer sich auf einen Job in Deutschland bewerben möchte, der braucht sich um ein teures professionelles Foto vielleicht bald keine Sorgen mehr machen. Das Aussehen sowie Name, Geschlecht, Alter, Religion und Herkunft sollten bei der Bewerbung keine Rolle mehr spielen, fordert zumindest die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Personalchefs sollen dann nur noch Informationen zur Qualifikation und Motivation der Bewerber bekommen, damit subjektive Kriterien bei der Wahl eines geeigneten Kandidaten möglichst keine Rolle spielen.
Die niedersächsische Stadt Celle hat jetzt als erste Kommune in Deutschland eine Spitzenposition mit einem solchen anonymisierten Bewerbungsverfahren besetzt: Neuer Chef der Stadtwerke von Celle ist Thomas Edathy geworden. Er hat indische Wurzeln und ist 48 Jahre alt.
Und Edathy ist der Bruder des SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, wie das Büro des Oberbürgermeisters von Celle mitteilte.
Insgesamt wurden in der Stadtverwaltung von Celle bereits 23 Stellen mittels des anonymisierten Bewerbungsverfahrens besetzt. Schon 2010 nahm Celle an einem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes teil - und setzt seitdem auf das Verfahren. "Wir können schneller eine Vorauswahl treffen, weil wir uns auf wenige wichtige Kriterien konzentrieren", sagt Jockel Birkholz, Leiter der Personalabteilung der Stadt Celle im DW-Interview.
Ausländischer Name als Einstellungshindernis
An dem bundesweit ersten Pilotprojekt im Jahr 2010 nahmen neben der Stadt Celle mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Bundesagentur für Arbeit zwei weitere öffentliche Arbeitgeber teil. Als Unternehmen waren die Deutsche Post DHL, MYDAYS, die Telekom sowie L’Oreal und Procter & Gamble auch Teil des Projekts. Ein Jahr lang führten die Teilnehmer anonymisierte Bewerbungen durch. Vier der Konzerne konnten aber nicht vom Nutzen des Verfahrens überzeugt werden und setzten es nach Ende des Projekts nicht fort. "In unserem Unternehmen haben wir keinen zusätzlichen positiven Effekt nachweisen können", begründet Dennis Dennert von der Deutschen Telekom AG die Entscheidung. Es habe in der Projektphase nicht mehr erfolgreiche Bewerbungen von Migranten, alleinerziehenden Müttern oder Älteren gegeben.
Den Hintergrund für das Pilotprojekt bildeten mehrere Studien, nach denen zum Beispiel die Angabe eines türkischen Namens ausreichte, um die Chancen auf eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch zu verringern. Auch eine OECD-Studie im Jahr 2009 zeigte, dass Kinder mit Migrationshintergrund schlechtere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben. Das neue Bewerbungsverfahren soll aber auch älteren Bewerbern Chancengleichheit bieten - und jüngeren Frauen, die oft befürchten müssen, wegen eines möglichen Kinderwunsches benachteiligt zu werden. Christine Lüders, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, bewertet das Pilotprojekt trotz Kritik seitens der Unternehmen als sehr positiv, "weil es gezeigt hat, dass damit mehr Chancengleichheit besteht als mit dem herkömmlichen Verfahren".
Im Ausland weit verbreitet
In Deutschland sind anonymisierte Bewerbungsverfahren noch weitgehend unüblich. Im englischsprachigen Raum sind sie dagegen schon länger Standard: In den USA, Kanada und Großbritannien wird auf persönliche Angaben und Fotos verzichtet.
Einige europäische Länder wie beispielsweise Schweden, Frankreich, Belgien und die Schweiz haben bereits erste Erfahrungen mit dem Verfahren gesammelt. In Frankreich wurde 2006 ein Modellprojekt gestartet: Das Unternehmen Norsys stellte fest, dass sich die Anzahl der Frauen im Unternehmen seit der Einführung verdoppelte. Auch ältere Arbeitnehmer waren in dem Zeitraum vermehrt eingestellt worden. In Belgien verzichtet man seit 2005 auf persönliche Angaben in den Bewerbungsunterlagen im öffentlichen Sektor. Das ist auch gesetzlich verankert.
Kritik am Verfahren
Kritiker wenden dagegen ein, dass auch in anonymisierten Bewerbungen persönliche Angaben versteckt seien. So könne zum Beispiel durch die Angabe von Sprachkenntnissen auf einen Migrationshintergrund geschlossen werden. "Oft werden Kandidaten schon vorab telefonisch interviewt. Das kann eine Menge über den Bewerber verraten", erklärt Jürgen Hesse vom dem Büro für Berufsstrategie. Ein Bewerbungsverfahren kann ihm zufolge nie komplett anonym sein.
Die Antidiskriminierungsstelle ist sich bewusst, dass man anhand des Lebenslaufs Rückschlüsse etwa auf das Alter oder Geschlecht einer Person ziehen kann - aber das stehe nicht im Vordergrund. "Es geht darum, dass Bewerber, die sonst schon allein wegen ihres Namens oder Aussehens ausgeschieden wären, überhaupt die Chance zu einem Vorstellungsgespräch erhalten", erklärt Christine Lüders.
Aussicht auf Erfolg
In Celle hat man auch nach Auslaufen des Pilotprojektes Ende 2011 an diesem Verfahren festgehalten - auch, um dem Vorwurf der Vetternwirtschaft zu begegnen. Christine Lüders ist überzeugt, dass das anonymisierte Bewerbungsverfahren Aussicht auf Erfolg hat, denn mehrere Bundesländer und Kommunen wollen dem Beispiel von Celle folgen und nun ebenfalls die anonymisierte Bewerbung einführen.