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Angst vor dem "Großen Beben" in Tokio

Julian Ryall17. Januar 2013

Kurz vor dem zweiten Jahrestag der Tsunami- und Erdbebenkatastrophe im März bereiten sich die Menschen in Tokio auf ein weiteres, lange angekündigtes Beben vor.

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Ein Mitarbeiter des Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam zeigt auf eine seismographische Darstellung des Erbebens, das am 11. Maerz 2011 Teile Japans verwüstete und einen Tsunami auslöste (Foto: dapd)
Erdbeben / Beben / Seismograph / GFZBild: dapd

Fünf Monate nachdem weite Teile im Nordwesten Japans durch ein verheerendes Erdbeben und den dadurch ausgelösten Tsunami zerstört wurden, veröffentlichten Wissenschaftler des Tokioter Erdbeben-Forschungs-Instituts im August 2011 eine beunruhigende Studie. Ihren Untersuchungen zufolge hat das Beben vom 11. März 2011 einen immensen Druck auf die tektonischen Platten, die direkt unterhalb von Tokio aufeinandertreffen, ausgeübt. Die Gefahr, dass die Platten an zwei oder mehr kritischen Stellen gleichzeitig aneinander reiben, ist groß. Und das könnte zu einem Erdbeben der Stärke 7,3 führen.

Obwohl ein solches Beben damit weniger stark wäre als das vom März 2011, könnten die Folgen für den dichtbesiedelten Großraum Tokio katastrophal sein. "Nach unseren Schätzungen würde die Opferzahl bei ungefähr 10.000 Toten liegen", erklärt Naoshi Hirata, Wissenschaftler am Erdbeben-Forschungs-Institut und außerdem Mitglied des Erdbeben-Forschungs-Komitees der japanischen Regierung. Der wirtschaftliche Schaden würde sich auf rund eine Billion US-Dollar belaufen. Und diese Schätzung ist noch konservativ, wenn man bedenkt, dass bei der Katastrophe vom 11. März 2011 mehr als 19.000 Menschen ums Leben kamen.

Anti-Atomkraft-Aktivisten in Japan im Sommer 2012
Japanische Anti-Atomkraft-Aktivisten im Sommer 2012 in TokioBild: Reuters

Aufruf an alle Japaner

"Schon vor dem Beben und dem Tsunami sind wir davon ausgegangen, dass Tokio innerhalb der nächsten 30 Jahre  mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent von einem schweren Erdbeben getroffen würde", so Hirata weiter. "Dass es irgendwann dazu kommt, ist einfach absehbar. Wir können nur nicht voraussagen, wann es genau passieren wird. Alles, was wir tun können, ist, Bevölkerung, Schulen und Unternehmen aufzurufen, sich möglichst gut auf den Ernstfall vorzubereiten."

Die Warnung ist angekommen. Ende Dezember gaben Grundstücksbesitzer aus den zentralen Tokioter Geschäftsvierteln Otemachi, Marunouchi und Yurakucho ihre Pläne für ein Katastrophenschutzzentrum. Dieses Zentrum soll sowohl mit medizinischen Einrichtungen als auch mit Notunterkünften für Erdbebenopfer ausgerüstet sein.

Katastrophenschutz bei Mitsubishi Estate

"Obwohl wir als Gebäudemanagement-Unternehmen sowieso über umfassende Katastrophenvorsorge-Pläne verfügen, haben wir nun mehrere neue Maßnahmen ergriffen, um besser auf Naturkatastrophen vorbereitet zu sein", berichtet Mitsubishi-Estate-Sprecher Ryuichiro Funo gegenüber der Deutschen Welle. Das Unternehmen verfügt im Distrikt Marunouchi über 35 großräumige Bürogebäude – und 230.00 Mitarbeiter.

ein zerstörtes Haus in einem Fluss, aufgenommen vier Tage nach dem Beben vom 11. März 2011
Spuren der Katastrophe: ein zerstörtes Haus in einem Fluss, aufgenommen vier Tage nach dem Beben vom 11. März 2011Bild: Reuters

"Wir hatten schon vor dem  11. März 2011 Nahrungs- und Wasservorräte angelegt und Decken sowie andere Notversorgungsmittel parat. Aber seit der Katastrophe haben wir unseren Bestand weiter aufgestockt", so Ryuichiro Funo weiter. "Wir wissen eigentlich, dass unsere Gebäude massiv genug sind, um auch starken Erdbeben zu trotzden. Trotzdem haben wir mittlerweile neue Überwachungssysteme installiert, die jede potenzielle Gefahr für die Bauwerke sofort feststellen können." Derzeit plant Mitsubishi Estate den Bau weiterer Gebäude in der Umgebung. Dabei lässt das Unternehmen prophylaktisch Notfall-Generatoren mit einer Laufzeit von bis zu 72 Stunden installieren. Derzeit beträgt die Laufzeit der leistungsstärksten Systeme 48 Stunden.

Andere Mitsubishi-Gebäude sind mit eigenen Wasseraufbereitungsanlagen ausgestattet, um schnell Trinkwasser zu generieren. Als Schutz gegen Überschwemmungen gibt es außerdem Flutbarrieren und wasserfeste Türen. Darüber hinaus benutzt Mitsubishi Estate ein erdbebensicheres Netzwerk, um im Katastrophenfall die Kommunikation aufrecht erhalten zu können. Und das Unternehmen treibt einen Katastrophenplan voran, um nach einer Katastrophe möglichst schnell rund 200 Experten aus unterschiedlichen Bereichen abrufen und zusammenzuziehen zu können.

Symbolbild eines Tsunamis
Erdbeben können verheerende Tsunamis auslösenBild: AP

Notstrom-Aggregate und "schwebende" Häuser

Überall in der Hauptstadt spielt das Thema Katastrophenschutz eine wichtige Rolle. Die Stadtregierung plant beispielsweise, 60 Parks und Friedhöfe mit Notstrom-Aggregaten auszustatten. Die Vorbereitungen für ein entsprechendes Test-Projekt laufen. Auch der Betreiber der Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge hat bekannt gegeben, sein Konzept zu überdenken und bei der Konstruktion weniger auf Schnelligkeit als vielmehr auf verkürzte Bremswege zu setzen. Der Zug ist mit seiner hohen Geschwindigkeit von knapp 300 Kilometern pro Stunde im Falle eines Erdbebens besonders gefährdet.

Die japanische Regierung ihrerseits bereitet gerade ein neues Gesetzespaket vor, das den Besitzern und Betreibern großer Geschäfts-Gebäude, Krankenhäuser und Schulen regelmäßige Erdbebenwiderstands-Tests vorschreibt. vor. Unterdessen ist es einem Unternehmen gelungen, ein besonders ausgeklügeltes Konzept zu entwickeln, um Gebäude erdbebensicher zu machen: Ganze Häuser werden mit gigantischen Airbags ausgerüstet – so dass sie im Fall eines Bebens quasi über den Erdstößen "schweben".

Sobald es zu einem Erdbeben kommt, wird per Sensor ein Kompressor aktiviert, der in Sekundenschnelle Luft in die Airbags unterhalb der Gebäude pumpt. Diese Luft reicht aus, um das Haus ungefähr drei Zentimeter über den Boden zu heben – solange dieser sich bewegt. Mit Hilfe eines Ventils innerhalb des Gebäudes wird die Luftzufuhr geregelt. Sobald das rund 33,5 Millionen US-Dollar teure System ein Ende der Erdstöße registriert, wird die Luft kontrolliert wieder abgelassen und das Haus sinkt zurück auf den Boden.

Skyline von Tokio
Die Unternehmen in Tokio sorgen sich vor einem neuen ErdbebenBild: picture alliance/empics

Umdenken auch bei den Menschen

Die Katastrophe vom 11. März 2011 hat bei der Bevölkerung deutliche Spuren hinterlassen. Wie viele Menschen damals den Fehler gemacht haben, nach den ersten kleineren Tsunami-Wellen zu schnell in ihre Häuser zurückzukehren und dann von den folgenden Wassermassen in den Tod gerissen wurden, weiß niemand. Aber der Schreck sitzt tief.

Früher gab es in den Schulen der Küstenstadt Yokohama bei Erdbebenübungen drei Regeln, die die Lehrer ihren Schülern mit auf den Weg gaben: Nicht rennen, nicht schubsen, nicht sprechen. Mittlerweile ist eine vierte Regel dazugekommen: Nicht umkehren.