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Wie sie wurde, was sie ist

8. März 2012

Von der Pastorentochter aus der ostdeutschen Provinz zur Kanzlerin: Angela Merkel hat eine beispiellose Polit-Karriere hinter sich. Doch zu Beginn ihrer Laufbahn hatte auch sie mit Stereotypen zu kämpfen.

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Bild: picture-alliance/dpa

Kaum ein homo politicus wurde in der deutschen Nachkriegsgeschichte so unterschätzt wie jene Pastorentochter aus der ostdeutschen Provinz: wenig telegenes Äußeres, fehlende Programmatik, übergroßer Pragmatismus, heißt es über die deutsche Kanzlerin.

"Angela Merkel trifft Entscheidungen anhand von Zahlen, Daten und Fakten", charakterisiert sie ihre Biografin Jacqueline Boysen. Dabei "setzt sie sich großzügig über ideologische oder programmatische Bindungen" hinweg, und auch über die eigene Partei. Geschadet hat ihr das nicht, im Gegenteil: "Kohls Mädchen" hat sich zur "Mutti" emanzipiert. Und dafür gibt es Gründe.

Unbeschwerte Kindheit und Jugend im Arbeiter- und Bauernstaat

"Über meiner Kindheit lag kein Schatten", hat sie selbst einmal gesagt. Angela Kasner ist die älteste Tochter eines evangelischen Landpastors, dem nicht Frömmelei, sondern humanistische Bildung wichtig ist. In der Schule steht sie unter besonderer Beobachtung ihrer Lehrer - wie alle Kinder, die aus gläubigen Familien kommen. Schon damals dürfte sie gelernt haben, vorsichtig im Umgang mit anderen zu sein.

Angela Kasner mit ihren Schulfreunden aus der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule in Brandenburg (Foto: Bernd Gurlt/dpa)
Angela Kasner (zweite Reihe Mitte, leicht verdeckt) mit ihren Schulfreunden aus der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule in BrandenburgBild: picture-alliance/dpa

Vor allem in Mathematik und Russisch tut sie sich hervor, und auch ihr Physikstudium in Leipzig schließt sie hervorragend ab. Noch als Studentin heiratet sie ihren Kommilitonen Ulrich Merkel. Die Ehe scheitert bald, den Nachnamen behält sie.

Immer wieder macht Angela Merkel Erfahrungen mit dem Überwachungsstaat DDR: Bei ihrem ersten Vorstellungsgespräch ist der künftige Arbeitgeber schon informiert, wann Merkel neue Jeans gekauft, wann sie West-Radio gehört hat. So sehr sich Merkel über solche und andere Stasierlebnisse aufregen kann, wirklich verletzt hat sie das nicht. Sie ist damals eine "geübte" DDR-Bürgerin: weder zu opportunistisch, noch allzu renitent. Merkel ist keine Oppositionelle in der DDR.

Vom Demokratischen Aufbruch zu Kohls Mädchen

Erst spät entdeckt sie die Politik, eher zufällig als geplant: Als stellvertretende Pressesprecherin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière bietet sich der 35-Jährigen die Chance, ihre Organisationsfähigkeiten anzuwenden. Kurz zuvor ist sie in die CDU eingetreten. Bis dahin war sie fleißig, nun wird sie ehrgeizig: "Sie hat darauf geachtet, wo sie blieb", bilanziert de Maizière.

Die damalige Studentin und heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel posiert vor dem Veitsdom auf der Prager Burg mit Prof. Kazuyuki Tatsumi (Foto: dpa Report
1982 posiert Angela Merkel auf Studentenfahrt in Prag mit ihren ProfessorenBild: picture-alliance/dpa

Ihr erstes Bundestagsmandat holt sie sich dank Günther Krause, dem Landesvorsitzenden von Mecklenburg-Vorpommern. Krause soll es auch gewesen sein, so erinnert sich Helmut Kohl in seinen Aufzeichnungen, der Merkel als Ministerin für Frauen und Jugend ins Spiel gebracht hat. Im Dunstkreis der Macht ist sie angekommen - allerdings nicht in einem Bereich, der ihr besonders am Herzen gelegen hätte, schreibt ihre Biografin. Im politischen Bonn kursiert das geflügelte Wort, sie habe den Posten ohnehin nur deshalb bekommen, weil sie "jung, Frau und aus dem Osten" gewesen sei.

Die erste politische Niederlage erleidet sie als Kandidatin für den Landesvorsitz der CDU in Brandenburg: Sie verliert gegen einen Polit-Profi aus dem Westen, einen, den Helmut Kohl verhindern wollte - ihre erste Erfahrung als Spielball Kohls. Doch schon Ende 1991 macht Kohl sie - ganz pragmatisch - zu einer seiner Stellvertreterinnen.

Wahlkampf 1990: Angela Merkel sitzt mit Fischern in Lobbe an einem Tisch. Foto: ullstein bild, Michael H. Ebner
Wahlkampf 1990: Angela Merkel besucht Fischer in LobbeBild: ullstein bild/Ebner

Das erste Gesellenstück

1994 hievt sie ihr Ziehvater auf die nächste Sprosse der Karriereleiter: Merkel wird Ministerin für Umwelt und Reaktorsicherheit, ein wichtiges und passendes Ressort für die promovierte Physikerin.

Angela Merkel 1992 als Bundesministerin für Frauen und Jugend (Foto: dpa)
In den frühen Neunzigern war Angela Merkel Bundesministerin für Frauen und JugendBild: picture alliance / dpa

Überraschend tauscht sie hier zunächst den etablierten Staatsekretär ihres Vorgängers aus, und sucht sich eine eigene Nummer zwei. In den Medien schlägt der Vorgang hohe Wellen, als Beleg für die neue Selbstsicherheit Merkels. Auch in der umstrittenen Frage, wie mit strahlenden Atomabfällen umzugehen sei, zeigt sich Merkel kompromisslos: Kernkraft ist für sie beherrschbar und alternativlos. "Kohls Mädchen" ist angekommen im westlich geprägten, von Männern dominierten Polit-Establishment.

Die Parteikarriere

Als 1998 Helmut Kohl die Bundestagswahl verliert, fällt die CDU in einen Schockzustand - bis auf Angela Merkel. Sie sieht eine Chance, ihren Platz in der Nach-Kohl-Ära zu festigen. Wolfgang Schäuble, der neue Parteivorsitzende, macht sie zur Generalsekretärin.

Ende 1999 wird dann auch noch bekannt, dass die Partei illegale Spendengelder angenommen hat. Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl rücken ins Zentrum der Ermittlungen, sind tief diskreditiert. Merkel dagegen, durch ihre Ost-Biografie unbelastet, wird derweil zur Krisenmanagerin, und mehr noch: Aktiv initiiert sie den Sturz des Altkanzlers.

"Die von Helmut Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt", schreibt sie am 22. Dezember 1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Merkels Bruch mit dem Übervater bedeutet gleichzeitig ihre endgültige Emanzipation.

Ohne Hausmacht, ohne Stallgeruch aber mit der Basis nach ganz oben

Im April 2000 wird Angela Merkel zur Nachfolgerin von Wolfgang Schäuble gewählt. Die orientierungslose Parteibasis entdeckt in der neuen Parteivorsitzenden eine Hoffnungsträgerin: Was Merkel an Stallgeruch fehlt, wird ihr nun als nicht vorhandene Vorbelastung ausgelegt.

Mit ausgestreckter Hand geht die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel im Berliner Reichstag zur Begrüßung auf Bundeskanzler Helmut Kohl zu (Foto: dpa)
Von "Kohls Mädchen" zur "Mutti": Merkel mit Förderer Helmut KohlBild: picture-alliance/dpa

Bei den Wahlen 2005 reicht es zwar nur für eine Große Koalition mit der SPD - doch Merkel ist Kanzlerin.

"Sie schiebt die Figürchen auf dem Schachbrett immer so, dass ihr niemand gefährlich werden kann", urteilt Biografin Boysen. Parteiinterne Widersacher lässt sie ins Leere laufen lassen, seit zwölf Jahren als Anführerin der CDU, seit sieben Jahren als Kanzlerin. Mächtige Landesfürsten wie Roland Koch (Hessen), Christian Wulff (Niedersachsen) oder Jürgen Rüttgers (Nordrhein-Westfalen) haben sich seither entweder selbst politisch ins Aus manövriert, oder sie werden von "Mutti" integriert. Wirtschaftsfachmann Friedrich Merz, einst Jungstar der Fraktion, kehrt der Politik entnervt den Rücken. Andere lässt Merkel einfach toben - und schafft es dabei, selbst lautlos zu agieren.

Die Eurokanzlerin

Seit 2008 ist die deutsche Kanzlerin als internationale Krisenmanagerin gefragt. In der Großen Koalition beschließt sie einen deutschen Bankenrettungsschirm. Seit Griechenland schwächelt, versucht sie zusammen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, den Euro zu retten.

Angela Merkel und der französische Praesident Nicolas Sarkozy geben sich die Hand (Foto: Clemens Bilan/dapd)
Kern des alten Europa: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas SarkozyBild: dapd

Pragmatismus geht ihr bis heute über alles. Überkommene Positionen kann Angela Merkel revidieren. Nach dem Atom-Unfall in Fukushima wird aus der einstigen Atomkraft-Befürworterin eine Atom-Aussteigerin.

"Wir müssen alte Antworten prüfen und neue finden", sagt sie im November auf dem CDU-Parteitag. Dass sie führen kann, hat sie bewiesen - nur wohin, das fragen sich viele in der CDU. Als "Seele" der christlich-konservativen Volkspartei wird Angela Merkel jedenfalls bis heute nicht gesehen.

Autoren: Wolfgang Dick/Volker Wagener
Redaktion: Johanna Schmeller