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Angela im U-Bahnhof

Michael Brückner22. August 2002

Aufstieg zur Parteivorsitzenden und Rückzug der Kanzlerkandidatur in Arien und großen Szenen: In Berlin wurde eine Oper über Angela Merkel uraufgeführt.

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Wolfang Schäuble (Dieter Goffing) im Duett mit Angela Merkel (Kathrin Unger)Bild: AP

Der Aufführungsort dieser Oper über Politik in Deutschland liegt genau im Zentrum derselben: Direkt unter dem Platz zwischen Bundeskanzleramt und Bürohaus der Abgeordneten befindet sich die unfertige U-Bahnstation "Reichstag". Die sogenannte Kanzlerlinie sollte eigentlich einmal das Regierungsviertel mit dem Stadtzentrum verbinden. Berlin kann den Weiterbau aber nicht finanzieren. So liegt der monumentale Bahnhof ungenutzt im Untergrund. Man kann ihn aber mieten. Und so hat die Berliner Off-Bühne "Neuköllner Oper" den Rohbau in ein Theater verwandelt. Auf der Galerie über dem Gleisbett thront das Orchester, der Bahnsteig wird zur riesigen Bühne.

Mit dem Handtuch in den Westen

Szene aus "Angela - eine Nationaloper"
Kathrin Unger als Angela MerkelBild: Jo Neander

Mit schönem, starken Sopran beginnt Kathrin Unger als Angela ihre Auftrittsarie. "Ich komme aus der Sauna und gehe jetzt in den Westen!" Authentisch. Denn Angela Merkel kam am 9. November 1989 abends wirklich aus einer Sauna ganz in der Nähe der Brücke, an der die Berliner Mauer zuerst fiel. Noch mit dem Handtuch unterm Arm machte sie einen Kurztrip nach West-Berlin. "Wahnsinn, Wahnsinn!", bemerkt der Chor. Wer deswegen eine Satire auf die CDU erwartet, liegt aber daneben. Das von den Machern vielleicht gar nicht so ironisch "Nationaloper" genannte Stück ist eher ein Lehrstück über den gebremsten Aufstieg einer unangepassten Frau in der deutschen Politik.

Realität und Fiktion

Szene aus "Angela - eine Nationaloper"
StoiberGlos.jpg v.l.: Stephan Korves als Edmund Stoiber, Joachim Fuchs als Michael GlosBild: Jo Neander

Letzte Szene: Drohend vibrierende Hintergrundmusik, Angela Merkel und Edmund Stoiber sitzen sich Auge in Auge gegenüber. Stoiber wiederholt stoisch seinen Standpunkt, dass er der bessere Kanzlerkandidat sei. Angela Merkel hält es nicht mehr aus, holt einen Revolver aus der Handtasche und verschießt ihr letztes Pulver. Umsonst. Stoiber redet ungerührt weiter. "Natürlich bilden wir hier nicht die Realität eins zu eins ab", betont Autor Michael Frowin. Theater und Oper sollen übertreiben, um Gefühle sichtbar zu machen. "Aber große Teile des Textes sind Originalzitate oder basieren auf Interviews, Reden, Parteiprogrammen." Zwei Jahre arbeitete das Team der "Neuköllner Oper" an dem Projekt, die Realität hat ihnen mit der bis dato ungeklärten Lösung der "K-Frage" beim legendären Frühstück in Wolfratshausen im März diesen Jahres den dramatischen Showdown gratis geliefert. Nach monatelangem parteiinternem Machtkampf verkündete Merkel nach diesem Frühstück mit Stoiber ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur.

Ohne Helmut Kohl

Neben Angela Merkel treten ihre Büroleiterin Beate Baumann, Wolfgang Schäuble, Roland Koch, Michael Glos, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle auf. Außer dem mobil-fidelen Guido also alles Parteifreunde, die ja bekanntermaßen gefährlichere Feinde als der politische Gegner sein können. Guido hat hier die Rolle der lustigen Figur, den der Chor der Pressemeute der spröden Ost-Frau Merkel deutlich vorzieht. Helmut Kohl tritt nicht auf. Aber seine Macht ist anwesend. "Er hat mich in den Arm genommen", berichtet Angela den gespannt wartenden Parteifreunden, als sie verwirrt aus dessen Büro stolpert.

Große Szenen, verschenkte Möglichkeiten

Es gibt eindrucksvolle Szenen, etwa wenn das skurrile Pathos politischer Reden deutlich wird. Doch bleibt das Stück da leider nicht stehen. So kann der vielleicht zu tiefsinnig angelegte Anspruch vor lauter Erzählen nicht eingelöst werden. Vor allem im ersten Teil wird der Zuschauer durch die Vielzahl der Ereignisse geradezu gehetzt. Auch die Musik von Frank Schwemmer findet selten Ruhe. Die einmalige Möglichkeit der Oper, unsichtbare Konflikte durch Musik unüberhörbar zu machen, wird so verschenkt.