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Andrzej Wajda: Das Gewissen einer Nation

Katarzyna Domagala-Pereira | Rosalia Romaniec
10. Oktober 2016

Er gilt als einer der größten Regisseure der europäischen Filmgeschichte. Seine Filme sind ein Manifest für die Freiheit des Individuums. Nun ist Andrzej Wajda im Alter von 90 Jahren gestorben.

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Regisseur Andrzej Wajda
Bild: Getty Images/AFP/G. Bouys

"Ich bin ein hervorragender polnischer Regisseur, einer der besten weltweit. Ich habe schon einige Minister überlebt. Ich werde auch diesen Herrn Minister überleben. Wer wird sich noch in zehn Jahren an ihn erinnern können?" Diese Sätze hätte Andrzej Wajda nie über sich selbst gesagt. Doch das tat einst die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland, eine langjährige Mitarbeiterin und Freundin von Wajda. In den 1970er Jahren hängte sie ein Plakat mit diesen Worten an die Wand eines Filmstudios, als eine Art Therapie für den Regisseur, der als zu bescheiden galt. Wajda musste damals stets befürchten, dass die Kommunisten in Polen die Oberhand behalten und seine Filme zensieren. Doch am Ende behielt Holland Recht.  

Ein Meister des Kinos 

Alle Werke von Wajda sind dem Menschen, dem Individuum und seiner Unbeugsamkeit gewidmet. Das Schaffen eines Künstlers darf nicht von der Politik vereinnahmt und instrumentalisiert werden: So lautete sein künstlerisches Credo. Wajda widmete sein ganzes Leben der Filmkunst. Im Jahr 2000 bekam er den Oscar für sein Lebenswerk. Auch auf der Bühne in Los Angeles wurde er politisch und dankte den "amerikanischen Freunden" für die Unterstützung Polens auf dem Weg zurück "in die Familie demokratischer Länder, in die westliche Zivilisation und in deren Institutionen und Sicherheitsstrukturen". Sichtlich gerührt sagte er auf Polnisch: "Mein innigster Wunsch ist, dass die einzige Flamme, die der Mensch zu spüren bekommt, die Flamme der ganz großen Gefühle ist: der Liebe, der Dankbarkeit und der Solidarität."

Polens Geschichte und Gegenwart waren stets Wajdas Themen und sie prägten alle seine Werke. Er sagte scherzhaft, dass er, wie einst Jan Matejko, der im 19. Jahrhundert Polens Geschichte malte, nun ein "Historienmaler des polnischen Kinos" sei. Mit einem wichtigen Unterschied: Der Künstler malte Siege, Wajda dagegen Niederlagen.

Wajdas Kino ist ein Panorama der Geschichte Polens - vom 19. Jahrhundert bis zur Bewegung "Solidarność" in den 1980er Jahren. "Wovon sollte ich sonst erzählen?", fragte er einst seine Freunde. "Wir waren die Stimme der Toten. Nicht jener, die eines natürlichen Todes gestorben sind, sondern die Stimme der Ermordeten, derjenigen, die besser waren, weil sie mutiger waren, und das taten, wozu uns der Mut fehlte. Deswegen haben wir überlebt," sagte Wajda.  

Filmstill Asche und Diamant von Andrzej Wajda
Szene aus "Asche und Diamant": Dieser Film war auch ein Vorbild für Martin Scorsese Bild: picture alliance/United Archives/IFTN

Malerei und Filmdebüt 

Der Regisseur wurde 1926 in Suwalki, im Nordosten Polens, als Sohn eines Offiziers und einer Lehrerin geboren. Der Zweite Weltkrieg setzte seiner Kindheit ein brutales Ende. Wajdas Vater verschwand spurlos im Jahr 1940. Erst Mitte der 1950er Jahre erfuhr der junge Künstler, dass sein Vater von den Sowjets ermordet worden war. Die deutsche Besatzung erlebte er in Krakau, dort arbeitete er unter anderem als Schlosser und Schmied. In seiner Freizeit malte und zeichnete er. Seiner Leidenschaft ging er nach dem Krieg nach und begann ein Studium an der Kunstakademie. 1949 wechselte er dann an die neu entstandene Filmschule in Łódź. Fünf Jahre später folgte sein Regiedebüt: Im Film "Eine Generation" (1954) erzählt er vom Schicksal junger Warschauer während der deutschen Besatzung. 

Polnische Filmschule

Mit den Filmen "Der Kanal" (1957) und "Asche und Diamant" (1958) wurde Wajda zu einem der wichtigsten Regisseure der neuen europäischen Generation. Sie gelten bis heute als erste Werke der sogenannten "polnischen Filmschule", die aus der Tradition der Romantik schöpfte und die heroische Haltung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellte. "Asche und Diamant" bezeichnete Wajda später als seinen wichtigsten Film.

Während polnische Regisseure der jüngeren Generation wie Roman Polański, Krzysztof Zanussi und Krzysztof Kieślowski auch andere Themen im Kino zeigten, blieb Wajda den historischen Erzählungen treu. Er wolle nicht Filme über sich selbst machen, sagte er seinen Studenten immer wieder. Im Kino blieb er seinem Heimatland treu, doch seine Filmsprache war universal, indem er in der Welt seiner Protagonisten blieb: ob es dabei um einen Maurer ging oder um Persönlichkeiten wie Danton oder Wałęsa.

Filmset Walesa von Andrzej Wajda
Dreharbeiten für den Film "Walesa" über den berühmten Anführer der Solidarność-Bewegung in Danzig (2012) Bild: picture-alliance/dpa/A. Warzawa

Zu seinen größten Erfolgen zählen "Der Mann aus Marmor" (1976) und "Der Mann aus Eisen" (1981). Der erste Film entlarvt die legendäre Leistung eines Maurers als Propagandalüge. "Der Mann aus Eisen" wurde vor dem Hintergrund des Danziger Hafenarbeiter-Streiks von 1980 gedreht. 2013 entstand noch "Walesa. Mann der Hoffnung", ein Porträt des beliebten Solidarność-Anführers. In den 1980er Jahren arbeitete Wajda vor allem im Ausland. In Frankreich drehte er unter anderem "Danton" (1983) mit Gérard Depardieu, in Deutschland "Pilatus und andere" sowie "Eine Liebe in Deutschland" (1983), die tragische Liebesgeschichte eines polnischen Zwangsarbeiters und einer Deutschen.    

Einsatz für die Freiheit der Kunst

Andrzej Wajdas Werke inspirierten auch weltberühmte Filmemacher wie Martin Scorsese. Dieser erzählte, dass er zu Beginn der Dreharbeiten von "Taxi Driver" seinem Team "Asche und Diamant" von Wajda vorführte. Damit wollte er veranschaulichen, wie sich der polnische Regisseur um die Aufmerksamkeit des Publikums bemühte.

Wajdas Filme wurden mehrfach auf internationalen Filmfestivals ausgezeichnet - und vier davon für den Oscar nominiert: "Die Mädchen von Wilko" (1979), "Das gelobte Land" (1975), "Der Mensch aus Eisen" (1981) und "Katyń" (2007). Auch diesmal schickt Polen einen Film von Wajda ins Rennen um den Oscar: In "Nachbilder" thematisiert er das Eingreifen der Regierung in die Kunst am Beispiel eines Künstlers im kommunistischen Polen. Als Wajda 2014 mit der Arbeit an diesem Film begann, konnte er nicht ahnen, wie aktuell das Thema zwei Jahre später in seinem Heimatland sein würde: Noch in diesem Jahr unterstützte er die bürgerlichen Proteste gegen die nationalkonservative Regierung in Polen und mahnte die Freiheit der Kunst an. 

Es ist vielleicht eine Ironie des Schicksals, dass Wajdas Werke jahrzehntelang den Regierenden ein Dorn im Auge waren - zur Zeit des Kommunismus - und es heute wieder werden könnten. Der Regisseur wollte immer Werke schaffen, die nicht spurlos verschwinden. Das ist ihm gelungen.  

Kommentarbild Katarzyna Domagala-Pereira
Katarzyna Domagala-Pereira Journalistin und Publizistin, stellvertretende Leiterin von DW-Polnisch.