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Amos Oz: Israelisch-deutsche Beziehungen "als Schock"

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos16. März 2005

Amos Oz ist einer der bekanntesten israelischen Schriftsteller und Friedensaktivist. Im Interview mit DW-WORLD spricht er über 40 Jahre israelisch-deutsche Beziehungen, den Gaza-Rückzug und die Verantwortung Europas.

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Ein Mann mit StandpunktBild: dpa

DW-WORLD: Israel und Deutschland haben vor 40 Jahren diplomatische Beziehungen aufgenommen. Am 16. März 1965 sprach sich das israelische Parlament, die Knesset, dafür aus. Wie haben Sie diesen Schritt empfunden?

Amos Oz: Es war ein Schock. Doch schon zuvor war es ein Schock, als die Knesset die Reparationsvereinbarung mit Deutschland Anfang der 1950er-Jahre akzeptierte. Ich war damals zwölf Jahre alt und absolut dagegen, weil ich fand, es sei demütigend für Israel, Entschädigungszahlungen von der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen. 1965 war ich nicht mehr dagegen, weil meine politische Sicht der Dinge sich geändert hatte. Aber emotional war es natürlich ein Schock, als der erste Botschafter der Bundesrepublik seine Empfehlungsschreiben dem israelischen Präsidenten übergab, und darauf bestand, deutsch zu sprechen. Es war mehr oder weniger das erste Mal seit vielen Jahren, dass die deutsche Sprache im israelischen Radio übertragen wurde. Das war emotional keinesfalls einfach zu der Zeit, absolut nicht.

War es der richtige Schritt zur falschen Zeit?

Es war der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Aber es war ein komplexer und schwieriger Schritt. Völlig anders als die Etablierung von diplomatischen Beziehungen mit irgendeinem anderen Land. Wenn der Tag kommt, an dem Israelis und Palästinenser Botschafter austauschen - und dieser Tag wird kommen - wird er einfacher sein, als der Tag, an dem Israel und Deutschland ihre diplomatischen Beziehungen aufgenommen haben. Emotional einfacher. Ich sage nicht, dass der Beginn diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland falsch, zu spät oder zu früh war. Aber ich erinnere mich, wie schwierig es war.

Wann werden Israel und Deutschland eine normale Beziehung zueinander haben?

Ich denke nicht, dass sie normale Beziehungen wollen. Was wir jetzt haben, ist viel tiefer gehend: Normale Beziehungen bedeuten Handel, Geschäfte und gutes Benehmen. Israel und Deutschland haben seit vielen Jahren eine sehr intensive Beziehung - kulturell, ideologisch. Es gibt einen sehr intensiven Austausch zwischen der deutschen und israelischen Literatur. Zwischen der öffentlichen Meinung in Deutschland und in Israel. Zwischen verschiedenen deutschen Ideologien und verschiedenen israelischen Ideologien. Nein, ich träume nicht von einer Normalisierung. Was wir jetzt haben, ist viel besser.

Die Knesset soll am Donnerstag eine weitere Entscheidung treffen - über den Gaza-Abzugsplan. Was erwarten Sie?

Amos Oz hilft bei der Olivenernte in Palästina
Amos Oz (links) hilft palästinensischen Bauern bei der Olivenernte. Mit dieser symbolischen Geste unterstützten er und andere Intellektuelle die palästinensischen Bewohner gegen radikale jüdische Siedler im Westjordanland (2002).Bild: AP

Ich kann nicht vorhersagen, wie die Knesset abstimmen wird. Aber der Prozess ist nicht verhinderbar, auch wenn es ein temporäres Hindernis gibt oder eine vorübergehende Verzögerung. Nicht verhinderbar, weil beide - Israelis und Palästinenser - im Grunde ihres Herzens wissen, dass sie am Ende das Land in zwei Staaten teilen müssen. Dass sie ihr Haus in zwei Wohnungen teilen müssen, um wie Nachbarn miteinander zu leben. Das ist jetzt allgemein bekannt. Auch Menschen, die gegen diese Lösung sind, in Israel und Palästina, wissen, dass sie kommen wird. Was die Knesset am Donnerstag beschließen wird, ist sehr wichtig, aber es wird nicht den Strom der Geschichte ändern. Denn dieser führt zu einem schmerzhaften aber unvermeidbaren Kompromiss, basierend auf einer Zwei-Staaten-Lösung. Israel Tür an Tür mit Palästina in einer anständigen nachbarschaftlichen Beziehung.

Wird es einen Rückzug Israels nur aus dem Gaza-Streifen geben oder wird er im Westjordanland fortgesetzt?

Ich habe keinen Zweifel daran, dass Gaza das erste Symptom für die Rücknahme der Grenzen zwischen Israel und Palästina ist. Ich vermute, diese Grenzen werden sehr ähnlich zu denen sein, die es vor 1967 gab - mit einigen Modifikationen, die man gegenseitig vereinbaren muss. Es wird vermutlich Austausch von Land in geringem Umfang geben. Aber dies wird Teil des israelisch-palästinenschen Abkommens sein.

Warum sollte Israels Regierungschef Ariel Scharon die palästinensischen Gebiete besuchen oder Palästinenserchef Mahmud Abbas die Knesset, wie Sie kürzlich empfohlen haben?

Ich glaube, es ist sehr ausschlaggebend, emotionale Impulse zu schaffen, um die Stimmung und das Gefühl zu ändern. Ich denke, es ist höchste Zeit, dass Israels Politiker direkt mit dem palästinensischen Volk sprechen - um dessen Leiden anzuerkennen. Und es ist Zeit, dass Israel seinen Teil der Verantwortung an diesem Leiden des palästinensischen Volkes anerkennt. Israel ist natürlich nicht alleine verantwortlich für diese Tragödie - auch palästinensische Führer und arabische Nachbarstaaten sind es. Aber Israel sollte einen Teil der Verantwortung akzeptieren, so wie ich erwarte, dass die palästinensische Führung ihren Anteil übernimmt. Das wäre ein großer Schritt nach vorne, der nicht nur die Türen, sondern die Herzen für den nötigen historischen Kompromiss öffnen würde.

Sollten sich Europa und Deutschland aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt heraushalten?

Deutschland im Besonderen und Europa im Allgemeinen haben in der Tat eine gewisse Verantwortung für das Leiden auf beiden Seiten. Beide Seiten des israelisch-arabischen Konflikts waren zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Weise Opfer Europas. Die Araber durch Kolonialismus, Imperialismus und Ausbeutung. Das jüdische Volk durch Verfolgung, Diskriminierung und schließlich durch einen Völkermord von beispiellosem Ausmaß. Dies sind beide schwere Verantwortungen auf den Schultern Europas. Aber keine zu verurteilenden Verantwortungen, sondern um beiden Seiten zu helfen. Derzeit könnte europäische emotionale Unterstützung für beide Seiten ausschlaggebend und sehr hilfreich sein.

Amos Oz, geboren 1939 in Jerusalem, ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. 1998 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Israel-Preis ausgezeichnet. Er ist einer der bekanntesten israelischen Schriftsteller und Unterstützer des Friedensprozesses zwischen Palästinensern und Israelis.