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Amerika übt sich im Protektionismus

Rolf Wenkel6. März 2002

Bis zu 30 Prozent teurer soll Importstahl in den USA werden. Präsident Bush hat jedoch mit seinen Strafzöllen der heimischen Stahlindustrie keinen Gefallen getan, meint Rolf Wenkel im DW-WORLD-Kommentar.

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Als wenn wir nicht schon genug Probleme mit der bisweilen sehr hemdsärmeligen Handelspolitik der Amerikaner hätten: Da streiten sich Europäer und Amerikaner um Bananen, um hormonversetztes Rindfleisch und um genmanipulierte Lebensmittel, und nun kommt noch eine neue Front im immer latent schwelenden Handelsstreit hinzu: US-Präsident George W. Bush hat am Dienstag (5.3.) Strafzölle für europäische und asiatische Stahlimporte zwischen acht und 30 Prozent verhängt, gültig ab dem 20. März, immerhin befristet auf drei Jahre. In zweieinhalb Jahren übrigens möchte George W. Bush als US-Präsident wiedergewählt werden. Ist das Zufall?

Das Argument der amerikanischen Stahllobby, das George W. Bush schließlich zum Handeln bewogen hat, ist jedenfalls ein Totschlagargument: Bereits 250.000 Menschen hätten in der US-Stahlindustrie ihren Job verloren, und wenn Europäer und Asiaten weiterhin vermeintlich unfaire Preise für ihre Stahlprodukte verlangten, dann stünden noch einmal hunderttausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Und diese Arbeitsplätze können wahlentscheidend sein, denn Bush braucht die Bundesstaaten des so genannten "Rostgürtels" im mittleren Westen, also Pennsylvania, Ohio und West Virginia, für seine Wiederwahl in zwei Jahren.

"Unfair" nennen die Amerikaner die Preise, die die asiatischen und europäischen Stahlproduzenten verlangen und die erheblich unter denen der heimischen Industrie liegen. Sie nehmen dabei aber das Wort "Dumping" wohlweislich nicht in den Mund. Denn dann müssten sie den Nachweis führen, dass Europäer und Asiaten Preise verlangen, die unter deren eigenen Herstellungskosten liegen, mit der Absicht, auf diese Art und Weise Weltmarktanteile zu erobern. Dieser Nachweis würde den Amerikanern allerdings nicht gelingen. Denn es ist völlig klar, dass Europäer und Asiaten effizienter und billiger produzieren können als die Amerikaner. Sie haben in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht, ihre Stahlindustrie modernisiert, die Produktivität erhöht, tausende von Arbeitsplätzen abgebaut und Milliardenbeträge investiert, um da zu stehen, wo sie heute stehen: schlank, leistungsfähig, effizient und kostengünstig. Die Amerikaner dagegen haben geschlafen, produzieren teuer und arbeitsintensiv in völlig veralteten Fabriken.

Doch der Fairness halber muss gesagt werden, dass die Europäer ihre Anstrengungen zur Rationalisierung auch nicht ohne Druck unternommen haben. Denn Anfang der 90er Jahre, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, war auch in Europa das Geschrei groß, als Millionen Tonnen Stahl über den Globus vagabundierten, die aus osteuropäischen Stahlschmelzen stammten. Diese Stahlmengen waren schon deshalb billig, weil ihre osteuropäischen Produzenten keinerlei westliche Umweltstandards einzuhalten brauchten. Aber die Europäer haben damals anders reagiert als heute die Amerikaner: Sie haben keine Strafzölle verhängt, der Markt blieb offen, der Rationalisierungsdruck wurde an die eigene Stahlindustrie weitergegeben – mit dem Ergebnis, das wir heute haben.

Deshalb hat Päsident Bush, indem er den Forderungen der Stahllobby aus kurzfristigen innenpolitischen Erwägungen nachgegeben hat, der eigenen Industrie in Wirklichkeit mehr geschadet als genutzt. Denn ein künstlicher Schutzwall um die heimische Stahlindustrie verführt dazu, weiter zu machen wie bisher, den notwendigen Strukturwandel, die dringende Sanierung aufzuschieben. Auch dem amerikanischen Verbraucher hat er keinen Gefallen getan. Denn die Hersteller von Autos, Baumaschinen, von Haushaltsgeräten und die Bauindustrie werden ihre Preise erhöhen müssen, wenn die Vorprodukte aus Stahl teurer werden. Und: Präsident Bush hat sich selbst keinen Gefallen getan. Denn bislang galt er immer als Verfechter des freien Welthandels. Nun ist er bei der ersten ernsthaften Belastungsprobe eingeknickt. Sein Ruf ist dahin.