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Amerika hat die Wahl

4. Juli 2004

Wie stimmt Amerika am 2. November ab: Für einen Kriegspräsidenten oder für einen Friedenspräsidenten? Das wird vor allem von der Entwicklung im Irak abhängen, meint Dieter Dettke von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Einer der es wissen muss, hat schon das perfekte historische Beispiel für die am 2. November anstehenden amerikanischen Präsidentschaftswahlen parat: Dick Morris, Wahlkampfstratege von Präsident Clinton bei dessen Wiederwahl 1996. Morris sieht die Novemberwahlen in Amerika ähnlich wie das Duell zwischen Winston Churchill und Clement Atlee unmittelbar nach Beendigung des 2. Weltkrieges. Bekanntlich verlor der Kriegsheld Churchill die britischen Wahlen gegen den Kandidaten der britischen Labour-Party Clement Atlee. So wie damals in Großbritannien im Jahre 1945 wird sich laut Morris am 2. November 2004 die Wahlfrage darauf zuspitzen, ob die Wähler in Amerika einen Kriegspräsidenten oder einen Friedenspräsidenten wollen.

Bush erklärt Krieg für beendet
Präsident Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger USS Abraham LincolnBild: AP

George W. Bush hat sich selbst immer wieder als Kriegspräsident dargestellt und auch so bezeichnet und seine Stärke liegt (laut Umfragen) auch eindeutig auf dem Gebiet der nationalen Verteidigung, der Gewährleistung der inneren Sicherheit und in der Fähigkeit zur erfolgreichen Bekämpfung des Terrorismus.

Kerrys Qualitäten

John Kerry führt demgegenüber in den Umfragen dort, wo es um die Beschaffung von Arbeitsplätzen geht, um Erziehung, Ausbildung, Krankenversicherung, Alters- und Rentenversicherung sowie um den Umweltschutz.

Die Amerikaner würden also mit ziemlicher Sicherheit für George W. Bush stimmen, wenn sie eine feste Hand im Kampf gegen den internationalen Terrorismus wollen. Sie würden aber mit großer Wahrscheinlichkeit für John Kerry stimmen, wenn sie nach einer zuverlässigen Führung für die Bewältigung der innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme Amerikas suchen.

Tektonische Verschiebung

Alarmierend für das Weiße Haus ist, dass sich in den Umfragen über den Krieg im Irak, wie der Umfragenspezialist Mark Mellmann herausgefunden hat, seit April 2004 eine "tektonische Verschiebung" abzuzeichnen beginnt. Bisher konnte Präsident Bush davon ausgehen, dass die öffentliche Meinung Amerikas trotz der hohen Zahl von Opfern und der gewaltigen finanziellen Leistungen, die Amerika weitgehend alleine aufbringen muss, das militärische Vorgehen gegen Saddam Hussein noch immer als notwendig und richtig zu unterstützen bereit war.

Als Howard Dean gegen Ende 2003 zu behaupten wagte, dass Amerika durch den Irak-Krieg weniger sicher geworden sei, war die Mehrheit der amerikanischen Öffentlichkeit noch anderer Meinung.

Inzwischen hat sich das Bild jedoch fundamental geändert. Heute sagt eine Mehrheit von 54 Prozent der Amerikaner, dass der amerikanische Kriegseinsatz ein Fehler war.

Auch im Vietnam-Krieg hat es ja relativ lange gedauert, ...... bis die amerikanische öffentliche Meinung umschlug, nämlich, wie David Halberstam so anschaulich in "The Best and the Brightest" schilderte, erst im Anschluss an die Tet-Offensive 1968. Nachdem die öffentliche Meinung aber umgeschlagen war, wurde der Vietnam-Krieg innenpolitisch de facto nicht mehr führbar.

Verlust an Sicherheit

55 Prozent der Amerikaner stimmen heute Howard Dean zu und sind jetzt der Auffassung, dass Amerika durch den Irak-Krieg weniger sicher geworden ist. Die Mehrheit der Amerikaner ist auch der Meinung, dass der Krieg nicht zu einer Verminderung der terroristischen Gefahr geführt, sondern mehr Terroristen hervorgebracht hat, wie die fast täglichen Bombenattentate, grausamen Hinrichtungen auch von Zivilisten und das dramatische Ansteigen von Anti-Amerikanismus insbesondere in der islamischen Welt beweisen. Heute ist nicht einmal sicher, ob die Souveränitätsübergabe im Irak in der amerikanischen Öffentlichkeit als Zeichen der Stärke angesehen wird. Nur 30 Prozent der amerikanischen Bevölkerung glaubt, dass die Souveränitätsübergabe mit einem klaren Konzept verbunden ist und auf der Grundlage der Daten von Mark Mellmann sehen sechs von zehn Amerikanern die Souveränitätsübergabe als Anzeichen eines Fehlschlages und nicht eines Erfolges.

Unter optimalen Bedingungen für die Bush-Administration ist ein Erfolg im Irak sicher nicht auszuschließen, vor allem wenn die innenpolitische Stabilisierung gelingen würde und wenn man Osama Bin Laden ergreifen und damit einen spektakulären Erfolg in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorweisen könnte. Die Lage im Irak könnte sich aber auch zum Schlechteren wenden, wenn es der irakischen Übergangsregierung und den Koalitionsstreitkräften nicht gelingen sollte, sichere Verhältnisse herzustellen, die zentrifugalen Kräfte im Lande einzudämmen und die notwendigen Vorraussetzungen für den Aufbau demokratischer Strukturen zu schaffen. Nach dem Gefängnisskandal von Abu Ghraib wird es jedoch schwer sein, den Eindruck und die sich auch in Amerika ausbreitende Wahrnehmung, dass der Irak-Krieg ein Fehlschlag war, umzukehren.

Zuschauer statt Akteure

Das Problem für den Wahlausgang in Amerika ist, dass die Antwort auf die Frage, wie Amerika am 2. November abstimmt – für einen Kriegspräsidenten oder einen Friedenspräsidenten – überwiegend von Entwicklungen abhängt, die sich der Kontrolle beider Kandidaten entziehen. Das heißt: Präsident Bush kann – je nachdem – Opfer oder Nutznießer von äußeren Ereignissen werden.

John Kerry mit Rennrad
John Kerry mit RennradBild: AP

John Kerry hat jetzt im Wesentlichen auch dort mit George W. Bush gleich gezogen, wo bisher die Stärken des Amtsinhabers lagen: Auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung, der inneren Sicherheit und in der Frage, wie mit dem Irak umzugehen ist. Der Vorsprung der Bush-Administration in der Terrorismusbekämpfung ist weitgehend abgeschmolzen und in der Frage, wer mit dem Irak-Konflikt besser umgehen könne, ist der Vorsprung von Präsident Bush gegenüber John Kerry nur ganz knapp.

Über Sieg oder Niederlage in den amerikanischen Präsidentschaftswahlen wird unausweichlich die Lage im Irak entscheiden. Präsident Bush war sich – wie wir von Bob Woodward wissen – des Risikos, das er mit dem Irak-Krieg eingegangen ist, durchaus bewusst, unter Inkaufnahme aller Konsequenzen, einschließlich des Amtsverlustes. Ähnlich hat damals Helmut Schmidt die Bürde der Nachrüstung auf sich genommen, nämlich mit dem Satz: "Mit dem Doppelbeschluss stehe ich oder falle ich." Ähnlich wie für Helmut Schmidt die spätere Nulllösung bei den Mittelstreckenraketen zu spät kam, um ihn im Amt zu halten, könnte für George W. Bush die Befriedung – wenn sie wirklich gelingt – und letztlich die Demokratisierung des Irak zu spät kommen, um einen politischen Erfolg vorzuweisen.

Gesetze brechen

Die jüngsten Umfragen über die Amtsführung von George W. Bush kurz vor der Sommerpause und kurz vor der Souveränitätsübergabe an die provisorische irakische Regierung unter Führung von Ministerpräsident Allawi müssen für das Weiße Haus alarmierend sein. Nur 42 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind mit der Amtsführung von Präsident Bush zufrieden. Das ist die bisher niedrigste Zustimmungsrate seit dem Einzug ins Weiße Haus. Die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ist mit der Politik der Bush-Administration nicht einverstanden. 52 Prozent der Amerikaner sind der Auffassung, dass sich das Land politisch in die falsche Richtung bewegt.

Eine Faustregel der amerikanischen Politik besagt, dass Präsidenten, die im Frühjahr oder Sommer vor der Wahl keine Mehrheit für ihre Amtsführung hinter sich haben – wie zum Beispiel Jimmy Carter oder George H. W. Bush, der Vater des jetzigen Präsidenten – kaum Aussicht auf Wiederwahl haben. Eherne Gesetze der Politik sind bekanntlich dazu da, gebrochen zu werden. Die Frage ist also, ob George W. Bush Opfer eines ehernen Gesetzes der amerikanischen Politik wird oder sich doch noch aus der politischen Zwickmühle befreien kann, in die ihn seine Irak-Politik geführt hat.

Dr. Dieter Dettke ist Leiter des Büros Washington der Friedrich-Ebert-Stiftung