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Am Ende des Tages

11. September 2009

Achtung, es folgt eine kleine Lehrstunde. Thema: "Wie kommt es zu babylonischen Verhältnissen, und was kann man dagegen tun?"

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Deutschland Schriftsteller Burkhard Spinnen. Foto privat
Burkhard SpinnenBild: privat

Zu babylonischen Verhältnissen kommt es so: Ein deutscher Geschäftsmann hört in England oder Amerika, wie seine Gesprächspartner die Redewendung "at the end of the day" benutzen. Sie meinen damit "schließlich" oder "letzten Endes". Es ist eine Metapher. Nicht das Tagesende ist gemeint, sondern das Ende eines Vorganges oder einer Entwicklung.

Der Wohlklang des Fremden

Als der deutsche Geschäftsmann nun wieder zu Hause ist, also unter lauter Deutsch sprechenden Menschen ist, würde er gerne mitteilen, dass er höchstselbst im Wunderland des Wirtschaftserfolgs war. Also sagt er im nächsten "Meeting": "Wisst Ihr was, Leute, wenn wir nur Best Practice betreiben und das Benchmarking nicht vergessen, werden wir mit unserem Portfolio am Ende des Tages…." – na, was auch immer. Egal.

Jedenfalls denken die Kollegen: Holla! Was redet denn der? Am Ende des Tages? – Das ist ja’n toller Spruch. Wer weiß, woher er den hat. Den nehmen wir jetzt auch. Und ab sofort sagen alle statt "letzten Endes" "am Ende des Tages."

Ja, und bis hierhin ist das alles kein Beinbruch. Und erst recht kein Babel. Sollen doch die Leute in ihren Büros und Werkstätten ihre Fachjargons reden. Tut ja keinem weh. – Doch leider bleibt es nicht so. Und jetzt wird es übel.

Babel heute

Lucas van Valckenborch, Turmbau zu Babel, 1595, Mittelrhein-Museum, Koblenz
Babel damalsBild: presse

Denn leider gehen jetzt die Leute aus den Büros mit vor Stolz auf ihr Metier geschwellter Zunge hinaus ins Leben. Und in diesem Leben sagen sie ab jetzt immer dann, wenn man hierzulande "schließlich" oder "letzten Endes" sagt, stattdessen: "am Ende des Tages". Und die, die es hören, lauter Leute, die keine amerikanischen Business Partner haben, die denken: Ach! Am Ende des Tages soll alles fertig sein? Am Ende des Tages sollen wir Bescheid wissen? Und so weiter. – Du liebe Güte! So schnell?

Denn im natürlich gewachsenen Deutsch bedeutet "am Ende des Tages" nun einmal nichts anderes als "am Ende des Tages". Man könnte auch sagen: "abends". Von sich aus ist die deutsche Sprache bislang einfach nicht darauf gekommen, eine solche Metapher auszuprägen. Und Metaphern lassen sich nun einmal nicht wörtlich übersetzen. Wenn es im Englischen "cats and dogs" regnet, regnet es im Deutschen noch lange keine Katzen und Hunde, und wo im Deutschen etwas los ist, ist im Englischen gar nichts loose.

Eigentlich weiß das jeder. Nur die Damen und Herren aus der Wirtschaft, die wissen das heute nicht mehr. Vielleicht glauben sie sogar, sie leisten einen bedeutenden Beitrag zur Gestaltung der deutschen Sprache. Vielleicht wollen sie auch bloß angeben. Jedenfalls richten sie nichts als Verwirrung an.

Ach ja. Ich wollte noch sagen, was man gegen diese Babylonisierung tun kann. Ganz einfach: Wie im Märchen laut sagen, dass der Kaiser nackt ist.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf