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"Altmaiers Vorschlag ist eine Nebelkerze"

Nina Niebergall1. Februar 2016

Was soll mit straffällig gewordenen Flüchtlingen geschehen? Kanzleramtschef Peter Altmaier hat vorgeschlagen, Flüchtlinge in Drittstaaten abzuschieben. Rechtsanwalt Heiko Habbe hält das für wenig praktikabel.

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Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber in Leipzig (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Deutsche Welle: Wer als Flüchtling eine schwere Straftat begeht, kann ausgewiesen werden. Das bedeutet eigentlich die Abschiebung in das Heimatland. In der Realität sieht es jedoch so aus, dass viele Menschen trotz ihrer Ausweisung Deutschland nicht verlassen. Wieso funktioniert die Rückführung in der Praxis oft nicht?

Heiko Habbe: Die Schwierigkeit ist ganz häufig, dass Papiere fehlen. Wenn ich aus Kriegs- und Krisengebieten fliehe, um meine Haut zu retten, gehe ich meistens nicht mehr zum Bürgeramt, um einen Pass zu beantragen. Bei den Staaten im Maghreb, also Marokko, Tunesien, Algerien, wird in letzter Zeit häufig berichtet, dass die Herkunftsstaaten die Menschen nicht mehr aufnehmen. Das kann seinen Grund darin haben, dass eben keine gültigen Papiere vorliegen. Immer wenn die Identität unklar ist, sagt der Zielstaat: Naja, wenn wir gar nicht wissen, ob er zu uns gehört, wieso sollen wir ihn dann nehmen?

An dieser Stelle soll der Vorschlag von Kanzleramtschef Peter Altmaier greifen. Seine Lösung: Sichere Drittstaaten ohne Krieg, Folter und Todesstrafe sollen straffällig gewordene Flüchtlinge aufnehmen, wenn eine Rückkehr in die Herkunftsländer nicht möglich ist - etwa die Türkei. Wie funktioniert eine solche Abmachung?

Ich halte es für keinen geeigneten Weg, gesellschaftliche Probleme durch Abschiebungen zu lösen. In der Praxis funktioniert es aber nur, wenn der andere Staat bereit ist, auch ausländische Staatsbürger aufzunehmen. Diese Bereitschaft wird in einem völkerrechtlichen Abkommen besiegelt. Es gibt ein solches Rückübernahmeabkommen mit der Türkei, das ab Mitte dieses Jahres in Kraft treten soll. Darin werden Bedingungen festgehalten, zu denen der Drittstaat - in diesem Fall die Türkei - Flüchtlinge aufnimmt.

Rechtsanwalt Heiko Habbe (Foto: privat)
Rechtsanwalt Heiko HabbeBild: privat

Welche Bedingungen sind das?

Das Rückübernahmeabkommen bezieht sich nur auf Drittstaatsangehörige, die direkt aus der Türkei nach Europa eingereist sind. Bei Einreise über Italien wäre die Türkei zu nichts verpflichtet.

Das heißt, wenn ein Flüchtling nachweisbar über die Türkei eingereist ist, steht der Abschiebung nichts mehr im Wege.

Wenn ich jemanden schon wegen ungeklärter Identität in seinem Heimatland nicht loswerde, dann werde ich ihn sehr wahrscheinlich erst recht nicht in einem Drittstaat los. Denn der Drittstaat wird mit noch mehr Recht sagen: Wenn ihr nicht einmal wisst, wer das ist und nicht beweisen könnt, dass er durch unser Land gereist ist - dann sehen wir keinen Grund, den zu übernehmen. Vor dem Hintergrund ist Peter Altmaiers Vorschlage eigentlich eine Nebelkerze. Er zielt letztlich darauf ab, eine aufgebrachte politische Diskussion zu beruhigen.

Pro Asyl kritisiert außerdem, die Türkei sei kein "sicherer Staat". Welche Bedingungen muss ein Staat erfüllen, damit die Bundesregierung Flüchtlinge dorthin abschieben kann?

Wenn eine Regierung Menschen abschiebt, die ein berechtigtes Schutzinteresse haben, dann greift die Genfer Flüchtlingskonvention. Diese besagt, dass ich jemanden nicht dahin abschieben darf, wo ihm Gefahr droht. Ich darf ihn auch nicht in eine Situation bringen, wo er von einem Staat zum anderen durchgereicht werden könnte, um am Ende wieder im Kriegsgebiet zu landen. Die Türkei wendet zum Beispiel auf Syrer nicht die Genfer Flüchtlingskonvention an. Das heißt, ich werde in Deutschland anerkannte Flüchtlinge zum Teil gar nicht in die Türkei abschieben können.

Flüchtlinge an der türkisch-bulgarischen Grenze (Foto: AFP/Getty Images)
Syrische Flüchtlinge auf dem Weg zur türkisch-bulgarischen Grenze - und zum Tor EuropasBild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Was hat die türkische Regierung davon, Menschen aufzunehmen, die in Deutschland straffällig geworden sind?

In dem Abkommen, dass die EU mit der Türkei verhandelt, bietet man als Gegenleistung an, dass man beispielsweise die Visaliberalisierung vorantreibt. Auch die EU-Mitgliedschaft der Türkei liegt wieder auf dem Beratungstisch. Es geht bei diesem Abkommen schwerpunktmäßig gar nicht darum, Straftäter auszuweisen und abzuschieben. Vielmehr geht es darum, dass Menschen, die in Europa kein Aufenthaltsrecht haben, aber über die Türkei eingereist sind, abgeschoben werden. Die Frage nach einer eventuellen Straffälligkeit hat erst Altmaier zum Thema gemacht.

Wie bewerten sie Altmaiers Vorschlag vor diesem Hintergrund politisch?

Wir fokussieren uns hier auf eine kleine Gruppe von Menschen, die als Asylsuchende eingereist sind und bei denen kein berechtigtes Schutzanliegen vorliegt. Zusätzlich haben wir bei denen damit zu tun, dass sie straffällig geworden sind. Das ist ein winzig kleiner Teil derjenigen, die uns im vergangenen Jahr erreicht haben. Vor dem Hintergrund finde ich die aktuelle Diskussion ausgesprochen unglücklich. Ja, für diese Gruppe brauchen wir auch eine Antwort. Aber vor allen Dingen müssen wir darüber reden, wie wir die Flüchtlingsaufnahme menschenwürdig durchführen und die Integration voranbringen können. Denn wenn wir den Menschen hier eine Zukunft bieten, dann vermeiden wir langfristig soziale Probleme.

Heiko Habbe ist Rechtsanwalt und auf Asyl-, Aufenthalts- und Antidiskriminierungsrecht spezialisiert.