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Demokratische Kultur stark gefährdet

Vera Möller-Holtkamp25. Oktober 2006

Nach den blutigen Protesten in Ungarn bleibt die Polizeipräsenz auf Budapests Strassen außergewöhnlich hoch - ein Zeichen dafür, wie gespannt die Lage ist. Die politischen Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber.

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Polizisten riegeln nach den Unruhen das Parlamentsgebäude ab
Polizisten riegeln nach den Unruhen das Parlamentsgebäude abBild: AP

Ungarn hält den Atem an. Polizisten in Kampfausrüstung haben die Strassen um das Parlamentsgebäude gesichert, wo am Montag (23.10) heftige Krawalle stattgefunden hatten. "Es ist eine gefährliche Situation", sagt István Hegedus, Soziologe und Präsident der Ungarischen Europagesellschaft in Budapest. Laut Hegedus ist ein Drittel der ungarischen Gesellschaft "überpolitisiert", radikalisiert. Es lehne jeglichen politisch-demokratischen Dialog mit der Gegenseite ab. Sozialisten und Konservative stehen sich in einer starren Front gegenüber.

Gewalt auf den Strassen – Schlammschlachten in der Politik

Viktor Orbán
Viktor Orbán, Oppositionsführer der Fidesz-Partei, 6. Oktober 2006.Bild: picture-alliance/dpa

Jozsef Szájer, FIDESZ-Mitglied und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, zeigt sich sehr besorgt über "die gestörte politische Kultur in meinem Land". Grundlegende demokratische Werte würden in Ungarn missachtet, sagt er. Der Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany habe seine Wahl mit Hilfe einer Lüge gewonnnen. Seine Gegner fordern vehement den Rücktritt des amtierenden Ministerpräsidenten, nachdem eine parteiinterne Rede bekannt geworden war, in der er seine eigene Regierung der Lüge bezichtigt hatte."Wir stehen jetzt mit dem höchsten Haushaltsdefizit der EU da: 11,6 Prozent. Drei Prozent sind nur erlaubt", sagt Szájer. "Das ist eine wirtschaftliche Katastrophe für Ungarn und eine Krise der politischen Glaubwürdigkeit."

"Teenager-Demokratie" in der Krise

Ferenc Gyurcsany
Ungarischer Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany. 5. Oktober 2005 in New York.Bild: dpa

Die Opposition stört seither systematisch den politischen Betrieb: FIDESZ-Abgeordnete des ungarischen Parlaments verlassen demonstrativ den Saal, wenn der Ministerpräsident Gyurcsany zu sprechen beginnt. Zum 50. Gedenktag des Aufstandes gegen die stalinistische Unterdrückung hatte Orbán zum Widerstand gegen die Regierung mit friedlichen Mitteln aufgerufen. In der Nacht zum Dienstag kam es dann zu Ausschreitungen durch offenbar rechtsextreme Demonstranten. 167 Menschen wurden dabei verletzt, 13 davon schwer. FIDESZ weist jede Verbindung zu den rechtsextremem Schlägern zurück. Es bleiben aber Unklarheiten: Auf der FIDESZ-Gedenkveranstaltung schwenkten einige Rechte die verpönte ungarische Naziflagge Arpad. Die Nationalkonservative billigte bei den jüngsten Kommunalwahlen außerdem die Unterstützung der rechtsextremen Partei MIEP.

Auf der anderen Seite stehen die Sozialisten, die mit den Liberalen eine Regierung bilden. Sie müssen nun das Vertrauen der Bevölkerung, das sie gerade erst verspielt haben, durch Reformen und einen strikten Sparkurs zurückgewinnen. Erst im April haben sie die Wahlen gewonnen. Katalin Lévai, sozialdemokratische Abgeordnete im EU-Parlament, ist pessimistisch was eine Überwindung dieser tiefen Spaltung der Gesellschaft betrifft. "FIDESZ muss zurück an den Verhandlungstisch", fordert sie. Gleichzeitig aber bezichtigt die Sozialdemokratin den Oppositionsführer Orbán der Hetze und somit als mitverantwortlich für die Krawalle am Gedenktag.