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Alte Musik aus dem Alten Europa

Michael Brückner7. Januar 2004

Je älter die Musik, desto jünger das Publikum. Diesen Eindruck könnte man haben, wenn man den steigenden Publikumserfolg der "Alte-Musik"-Bewegung in den letzten Jahren in Europa beobachtet.

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Die älteste Oper überhaupt: Claudio Monteverdis "L'Orfeo" in der Innsbrucker VersionBild: presse

"Alte-Musik"-Tage und Festivals in ganz Europa feiern schöne Erfolge. Und selbst auf dem in Untergangsstimmung schwelgenden Musik-Markt trotzt der Vertrieb von Alter Musik dem negativen Trend mit leicht steigenden Umsatzzahlen. "Alte Musik": damit ist Musik aus der Zeit vor der Wiener Klassik, also vor Mozart und Haydn gemeint.

"Im Bereich 'Alte Musik' sind noch Zuwächse zu verzeichnen. Wir haben in den letzten fünf Jahren unseren Umsatz verdoppelt", sagt Angelika Gräfe von "harmonia mundi france" im Gespräch mit DW-WORLD. Das französische Klassik-Label aus Arles hat mittlerweile einen Großteil der führenden "Alte-Musik"-Spezialisten Europas unter Vertrag. Weil in Frankreich die großen Handelsketten nur noch schnell verkäufliche CDs in ihre Geschäfte stellten, eröffnete harmonia mundi in den vergangenen Jahren 42 eigene Geschäfte, die überraschend gut laufen. "Damit wird in ein Drittel des Umsatzes in Frankreich gemacht", sagt die für Deutschland zuständige Geschäftsführerin Angelika Gräfe. Und noch etwas zeige der Erfolg der eigenen Verkaufsstellen: "Das Problem ist das Angebot des Handels, nicht die Nachfrage des Publikums."

Alte Musik mit neuen Ideen

"Besonders die Barockoper kommt überraschend gut an. Vor allem, wenn sie modern inszeniert wird", meint Angelika Gräfe. Diese Erfahrung machten in den vergangenen Jahren zum Beispiel die Bayerische Staatsoper in München und die Berliner Staatsoper unter den Linden.

Die ironisch-flapsigen Münchner Inszenierungen von Händel-Opern erreichten fast Kultstatus. Für Werke des ersten Opernkomponisten überhaupt, des Italieners Claudio Monteverdi aus der Zeit um 1600, stand das Publikum Schlange.

Publikumserfolg nach jahrzehntelanger Forschung

Jahrzehntelang waren "Alte Musik" und "Originalklang" Themen für Spezialisten, vom Mainstream der Klassik-Branche belächelt oder ignoriert. Zu ihrer Entstehungszeit wurde diese Musik auf Instrumenten gespielt, die zwischenzeitlich fast vergessen waren. Denn die Geigen oder auch die Blasinstrumente waren vor 300 oder 400 Jahren ganz anders gebaut als die, für die Verdi oder Wagner komponiert haben.

Das bedeutet für die heutigen Musiker erst einmal viel Forschungsarbeit. "Man richtet sich nach den historischen Instrumentarien, fragt, wie die das damals gemacht haben könnten", erklärt Regula Rapp von der Berliner Staatsoper. Außerdem haben die frühen Komponisten nichts so punktgenau festgelegt, wie man das heute erwartet. Der Raum für freie Interpretation war bewusst groß und wurde von den Zeitgenossen voll ausgenutzt.

Der Klang, der entsteht, wenn man zum Beispiel Werke von Johann Sebastian Bach oder Claudio Monteverdi auf alten -oder den Originalen nachgebauten - Instrumenten hört, erweckt die Werke zu neuer Lebendigkeit. Auch betonen die Spezialisten der "Alten Musik" den federnden Rhythmus gerade barocker Kompositionen.

Auf den großen Bühnen angekommen

Noch vor wenigen Jahren hätte sich kein großes Haus gewagt, so "exotische" Stücke wie "Griselda", "Il ritorno d'Ulisse in patria", "Rinaldo" oder "Eliogabalo" in den Spielplan aufzunehmen. Mittlerweile werden solche fast vollkommen in Vergessenheit geratene uralte Stücke zu Publikums-Lieblingen, ziehen ein neues, überraschend junges Publikum an.

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2002 Händel Rinaldo Vivica Genaux
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2002: Händel, RinaldoBild: presse

Weltweit führend bei der Forschungsarbeit und bei der Ausbildung junger Musiker ist seit nunmehr 70 Jahren die "Schola Cantorum Basiliensis" im schweizerischen Basel. Zwei große Festivals gibt es, die sich ausschließlich alter Musik und Barock-Opern widmen: die Innsbrucker Festwochen jedes Jahr im August und das Niederländische "Festival Oude Muziek" in Utrecht, jeweils Anfang September. Daneben finden das ganze Jahr über kleinere Festivals statt, etwa die "Regensburger Tage Alter Musik" zu Pfingsten oder die "biennale alter musik" im Berliner Konzerthaus Ende März.

Wer es nicht nach Innsbruck schafft, kann übrigens im Januar an der Berliner Staatsoper die Innsbrucker Barock-Opernproduktion des vergangenen Sommers erleben: Diesmal wird es die von der internationalen Presse umjubelte Aufführung von Monteverdis "L'Orfeo" sein, eingerichtet und dirigiert vom künstlerischen Leiter der Innsbrucker Festwochen, René Jacobs.