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Reise

Als der Tourismus laufen lernte

Friedhelm Schachtschneider, dpa25. September 2015

Für die meisten sind Ferienreisen selbstverständlich geworden. Anlässlich des Welttags des Tourismus am 27. September blicken wir 200 Jahre zurück - zu den Anfängen des Massentourismus.

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Anton Braiths Gemälde "Die Verabschiedung an der Postkutsche vor dem Wirtshaus". Quelle: Wikimedia commons
Bild: gemeinfrei

"Alle Welt reist", schrieb schon der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane vor fast 150 Jahren in seiner Schrift Modernes Reisen. Wie wahr! Im Jahr 2014 machten 54,6 Millionen Deutsche mindestens eine Urlaubsreise, weltweit verließen 1,1 Milliarden Menschen ihre Heimat für einen Reiseaufenthalt.

Urlaubsreisen kamen erstmals vor 200 Jahren auf. "Der Tourismus als zweckfreies Reisen nur um des Reisens willen begann mit der Romantik Ende des 18. Jahrhunderts", sagt Professor Hasso Spode vom Historischen Willy-Scharnow-Archiv zum Tourismus an der Technischen Universität Berlin. Damals hätten Dichter und Maler die Schönheit der Natur entdeckt. Noch wenige Jahre zuvor hatte der Antiken-Forscher Johann Joachim Winckelmann laut Spode bei einer Fahrt nach Italien in den Alpen die Fenster seiner Kutsche verhängen lassen - er habe seinen Augen den Anblick der "schaurigen Landschaft" ersparen wollen.

Am Anfang war die Bildungsreise

Ölgemälde mit einem Portrait Goethes, gemalt 1828 von Joseph Stieler. Quelle: Neue Pinakothek München
Goethe war fasziniert von ItalienBild: picture-alliance/akg-images

Als der berühmte deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe zu seiner ersten Italienreise aufbrach, konnte sich laut Spode bestenfalls ein Prozent der Bevölkerung eine solche Fahrt leisten. Goethes Gedanke: "Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen." Damals begaben sich auch junge Adlige für ein Jahr oder länger auf "Grand Tour". Ziel dieser "Kavaliersreisen" war es, die Bildung zu erweitern und gesellschaftliche Umgangsformen zu verfeinern.

Goethes Reiseberichte über Italien, dem "Land, wo die Zitronen blühn", aber auch die Schilderungen anderer Reisender weckten Begehrlichkeiten, es ihnen gleichzutun. Immer mehr Menschen, auch aus dem gehobenen Bürgertum, unternahmen eine "Petit Grand Tour", die sie nun vorzugsweise zu bis dahin verschmähten Zielen führten, etwa in die Alpen oder an Meeresküsten.

Die Geburt des Reiseführers

Unterwegs waren sie oft auf fremde Hilfe angewiesen. Das machte sich der junge Verleger Karl Baedeker zunutze. Er kaufte die Rechte an dem 1828 erschienenen Werk Rheinreise von Mainz bis Cöln, Handbuch für Schnellreisende und gab eine überarbeitete Neuauflage mit ausklappbarem Rhein-Panorama heraus. Der moderne Reiseführer war geboren, weitere Titel folgten, darunter sein Hauptwerk Deutschland und der Oesterreichische Kaiserstaat.

Baedeker testete viele Reisen selbst und lieferte viele nützliche Tipps. Für die Schweiz riet er etwa, Kuhmilch "keinesfalls ohne Beimischung von Cognac oder Rum" zu trinken. Zeitlos in Bezug auf manche scheint sein Hinweis: "Die Begleitung von Damen auf Reisen erhöht natürlich die Kosten beträchtlich."

Viele dieser bibliophilen Kostbarkeiten lagern heute im Historischen Archiv zum Tourismus der TU Berlin. Zu den 70.000 Druckstücken gehören neben Reiseliteratur seit dem 17. Jahrhundert auch Karten, Plakate und private Fotoalben.

Thomas Cook ebnet den Weg für die Pauschalreise

Ein Reiseplakat des Reiseveranstalters Thomas Cook von 1904. Quelle: Mary Evans Picture Library
Cook-Werbung aus dem Jahr 1904Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Neue Verkehrsmittel senkten die Kosten und machten "Lustreisen" für etwa zehn Prozent der Bevölkerung erschwinglich. Eine der ersten Pauschalreisen organisierte der Engländer Thomas Cook: 1841 fuhren rund 500 Anhänger sogenannter Mäßigkeitsvereine mit dem Zug von Leicester zu einem Treffen nach Loughborough, um sich dort über moralische und geistige Sitten auszutauschen. Zum All-Inclusive-Paket gehörten neben Blasmusik, Sandwiches und Tee auch Vorträge über die Gefahren des Alkohols.

"Der Erfinder der Pauschalreise war Cook aber nicht", stellt Spode klar. Er habe lediglich die Idee von Konkurrenten ausgebaut und sie zu einem wirtschaftlichen Erfolgsmodell gemacht. Dafür nutzte sein Unternehmen höchst werbewirksam Dankschreiben berühmter Kunden wie dem Reiseschriftsteller Mark Twain oder dem deutsche Kaiser Wilhelm II.

Ab 1850 waren immer mehr Ziele preiswert mit der Eisenbahn zu erreichen - jetzt reiste auch die Mittelschicht. Es wurde ein Standeszeichen des Bürgertums, jährlich eine Reise zu unternehmen. Um 1870 war der Rhein das weltweit am meisten frequentierte Touristenziel. Allerdings nicht zur Freude aller, denn auch die Kritik am Massentourismus ist alt. "Schon vor 150 Jahren beklagten Zeitgenossen am Rhein, dass sich die Reisenden dort dank Dampfschiff und Bahn ausbreiteten wie die Heuschrecken", so Spode.