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Als das Parlament sich selbst abschaffte

Marc von Lüpke-Schwarz22. März 2013

Am 23. März 1933 verabschiedete der deutsche Reichstag das "Ermächtigungsgesetz". Ohne parlamentarische Kontrolle konnte Adolf Hitler fortan Gesetze erlassen. Nur die SPD stimmte gegen das Gesetz.

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Das überdimensionale Hakenkreuz dominiert den improvisierten Plenarsaal (Foto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung)
Das überdimensionale Hakenkreuz dominiert den improvisierten PlenarsaalBild: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl

Am 23. März 1933 betrat Adolf Hitler die Kroll-Oper in Berlin. In brauner Uniform bahnte sich der Reichskanzler seinen Weg vorbei an jubelnden Reichstagsabgeordneten der NSDAP. Hierher, in den Opernbau, hatte sich das Parlament zurückgezogen, nachdem das Gebäude seit dem Brand im Februar zerstört war. In aller Eile hatte man das Opernhaus zum Sitzungssaal umfunktioniert. Für die Abgeordneten der Opposition, allen voran die Sozialdemokraten, war das Betreten der Oper ein Spießrutenlauf. An allen Zugängen standen Männer der Sturmabteilung, SA, und der Schutzstaffel, SS, die die Parlamentarier beleidigten und einschüchterten.

Die Abgeordneten der Kommunisten waren politisch kalt gestellt. Viele waren verhaftet oder geflohen. Ihre Mandate waren eingezogen worden. Auch im Plenarsaal erwartete die erschienen Parlamentarier eine böse Überraschung. Ein überdimensionales Hakenkreuz dominierte den ganzen Raum. In dieser bedrohlichen Atmosphäre sollten die Abgeordneten über das wichtigste Gesetz seit der Gründung der Weimarer Republik abstimmen: Ein Gesetz, das den Nationalsozialisten die volle Kontrolle über die Macht im Staat einräumen würde. Ein Gesetz, das für Hitler der entscheidende Schritt zur dauerhaften Etablierung seiner Diktatur sein sollte.

Das Ermächtigungsgesetz war die rechtliche Basis der NS-Diktatur (Foto: picture-alliance)
Das Ermächtigungsgesetz war die rechtliche Basis der NS-DiktaturBild: picture-alliance / akg-images

Ein Gesetz als Grundlage der Diktatur

Sein großes Ziel, eine absolute Mehrheit für die NSDAP, hatte Adolf Hitler bei den Wahlen von Anfang März klar verfehlt. Am 23. März legte er den Abgeordneten des deutschen Reichstages nunmehr seinen Entwurf für das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vor. Dieses sogenannte "Ermächtigungsgesetz" sollte Hitler die uneingeschränkte Macht verleihen. Der entscheidende Satz des nur fünf Paragraphen umfassenden Gesetzes lautet: "Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden".

Die drastische Konsequenz: Ohne jegliche Kontrolle sollte die Regierung Hitlers Gesetze beschließen können und Verträge mit dem Ausland abschließen. Faktisch sollte sich das Parlament damit selbst entmachten. Die von der Verfassung garantierten Grundrechte waren ohnehin schon außer Kraft gesetzt. Doch nun sollten sogar Gesetze verabschiedet werden können, die von der Weimarer Reichsverfassung abwichen. Das einzige, was Hitler noch von der vollständigen Machtfülle trennte, war die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten.

Hitler nimmt ein "Bad in der Menge: Am 30. Januar 1933 wurde er Reichskanzler. Zwei Monate später hielt er die ganze Macht in Händen. (Foto: Getty Images)
Am 30. Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Zwei Monate später hielt er die ganze Macht in Händen.Bild: Hulton Archive/Getty Images

Das letzte freie Wort im deutschen Parlament

Gegen Nachmittag des 23. März sprach Adolf Hitler vor dem Reichstag, um für die Annahme des "Ermächtigungsgesetzes" zu werben. Der Reichskanzler hielt eine Rede, die viele Versprechungen enthielt. Vor allem die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit hatte er sich als Ziel gesetzt. Eine "durchgreifende moralische Sanierung des Volkskörpers" versprach er den Abgeordneten. Manche Parlamentarier glaubten Hitlers Worten, andere saßen eingeschüchtert auf ihren Bänken.

Allein Otto Wels, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, wagte eine mutige Gegenrede. "Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus." Auch vor dem Terror der Nationalsozialisten zeigte Wels keine Furcht: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht". Und auch die verhafteten Oppositionellen wagte Wels zu erwähnen: "Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten." Nach dem Ende der Rede trat Hitler erneut ans Rednerpult und redete sich in Rage. Nun ließ er die Maske der Friedfertigkeit fallen: Er appellierte an die Abgeordneten, "uns zu genehmigen, was wir auch ohnedem hätten nehmen können."

Hielt eine mutige Rede: Otto Wels (SPD) (Foto: picture alliance)
Hielt eine mutige Rede: Otto Wels (SPD)Bild: picture-alliance / akg-images

Das Parlament schafft sich selbst ab

Die Einschüchterung funktionierte. 441 stimmten für das "Ermächtigungsgesetz", nur die 94 Abgeordneten der SPD dagegen. Damit war das Gesetz angenommen – und Hitler einen entscheidenden Schritt zur Etablierung der Diktatur vorangekommen. Am 24. März 1933 trat das Gesetz in Kraft. Der deutsche Reichstag war damit marginalisiert. Aus Angst vor Repressalien und Gewalt, aber auch im blinden Vertrauen, dass Hitler sich an seine Versprechungen halten würde, hatten viele Abgeordnete dem Gesetz zugestimmt.

Appell im KZ Oranienburg: Hier hielten die Nationalsozialisten viele ihrer Gegner gefangen (Foto: Getty Images)
Appell im KZ Oranienburg: Hier hielten die Nationalsozialisten viele ihrer Gegner gefangen.Bild: Hulton Archive/Getty Images

Der Vorsitzende der katholischen Zentrumspartei unterstützte Hitler in seiner Rede gar mit viel Pathos. "Das Vaterland ist in höchster Gefahr, wir dürfen nicht versagen." Viele Abgeordnete und ihre Parteien sahen oder wollten nicht sehen, dass Hitler die eigentliche Gefahr für Deutschland war. Zwar war das "Ermächtigungsgesetz" auf vier Jahre begrenzt, doch sollte es wenige Wochen später nur noch eine Partei geben. Die Nationalsozialisten, die dieses "Grundgesetz des Dritten Reiches" immer wieder verlängerten.