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Wir leiden an der Kirche

12. Mai 2010

"Kirche ist nicht nur Missbrauch". Diese Botschaft soll der Ökumenische Kirchentag aussenden, sagt der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken im Interview. Verschweigen wollen die Kirchen das Thema aber auch nicht.

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Alois Glück (Foto: AP)
Kirchentag sei gelebte Ökumene, trotz aller Spannungen, so GlückBild: AP

DW-WORLD.DE: Die katholische Kirche steckt in ihrer größten Krise überhaupt, in der evangelischen sieht es etwas besser aus. Wie mobilisieren Sie dennoch gut 100.000 Leute, zum Kirchentag zu kommen?

Alois Glück: Weil Kirche nicht nur Missstand ist – das ist ein schmerzlicher Ausschnitt, das ist schmerzliche Wirklichkeit, und natürlich machen sich viele Menschen sorgen. Es gibt ja auch eine Gefahr der Entfremdung von der Kirche. Auf der anderen Seite: Die Teilnehmer und die Öffentlichkeit werden hier sehr lebendige Kirchen erleben. Man wird spüren und sehen, dass hier nicht nur alles auf die Probleme reduziert wird, wir werden allerdings mit dem Thema Missbrauch offen umgehen. Und wir haben ein großes Interesse bei den Teilnehmern und den Medien, weil wir eine Zeit haben, in der Menschen Orientierung suchen – überall. Insofern sind wir zum richtigen Zeitpunkt hier.

Sie thematisieren aber auch den Missbrauchsskandal in speziellen Veranstaltungen.

Natürlich, wir gehen offen damit um. Wir haben zwei große Veranstaltungen und einen Gesprächs- und Beratungsdienst. Bei den Veranstaltungen geht es um das gesamtgesellschaftliche Problem. Missbrauch ist ja in der gesamten Gesellschaft ein weithin verdrängtes Thema. Und dann gibt es noch eine zweite Veranstaltung, speziell zur Situation, zu den Erfahrungen und Schlussfolgerungen in der katholischen Kirche.

Mann trägt Schild (Foto: dpa)
100.000 Leute wollen kommen - nur halb so viele wie beim letzten Ökumenischen KirchentagBild: picture alliance/dpa

Der Regisseur Christoph Schlingensief hat gesagt, dass er vorerst nicht aus der katholischen Kirche austreten möchte. Das sehen – glaube ich – auch viele andere so. Ist das eine Trotz-Haltung: Jetzt bleibe erst recht dabei?

Wer wirklich eine innere Beziehung zum Glauben hat und zur Kirche, der die Kirche jetzt nicht als glorreiche Institution, sondern als Träger und Vermittler des Glaubens sieht, der sollte sich nicht durch das Fehlverhalten Einzelner oder durch strukturelle Fehler leiten lassen. Wir leiden mit der Kirche, gerade die Engagierten leiden. Aber es bleibt unsere Kirche, wir engagieren uns und es gibt sicher auch aufgrund des Erdbebens Chancen auf eine Weiterentwicklung. Das wird ja die entscheidende Frage werden: Ob die Krise – wie häufig in der Geschichte – Anfang eines neuen Aufbruchs sein wird.

Das ist ja der zweite Ökumenische Kirchentag überhaupt. Beim ersten in Berlin 2003 hatten sie 200.000 Teilnehmer, jetzt gut die Hälfte. Ein Zeichen dafür, dass die Ökumene auch in der Krise steckt?

Ökumene ist ja keine Thematik der Kirchenleitungen oder Theologen. Das ist das gelebte Miteinander der Christen, und das hat nach Berlin einen zusätzlichen Schub bekommen. Die unterschiedlichen Teilnehmerzahlen haben da nichts zu bedeuten, da spielt der Ort der Veranstaltung auch eine Rolle. Und auch in der Vorbereitung auf diesen Kirchentag haben hunderte von Kirchen gemeinsam gebetet, Projekte gestartet. Im Mittelpunkt steht neben dem theologischen Thema "Damit ihr Hoffnung habt" konkret auch das Motto "Christen in der Welt und Christen für die Welt". Und das wird sich in tausenden Veranstaltungen widerspiegeln.

Priester bei Aufbauarbeiten (Foto: dpa)
Die Kirchen sollten in München stärker zusammenwachsen, hofft GlückBild: picture alliance/dpa

Sie haben das Motto "Damit ihr Hoffnung habt" genannt. Ist das nicht in doppelter Hinsicht sehr glücklich gewählt? Obwohl Sie den Missbrauchsskandal damals ja noch gar nicht voraussehen konnten?

Es geht ja nicht nur um die aktuelle Krise unserer Kirche. Momentan gibt es ja generell viel Verzagtheit und Unsicherheit, was unsere Zukunft angeht. Natürlich haben wir aus der Bibel heraus keine Patentantworten auf die einzelnen Fragen, aber auf der anderen Seite hoffe ich, dass wir sichtbar machen können, dass wir als Gläubige die Dimension eines Gottes haben, der Mensch geworden ist und deshalb unsere Existenz und unsere Nöte kennt. Der uns begleitet, der uns trägt. Und deshalb haben wir auch eine Dimension im Hinblick auf Lebensorientierung, die über das rein Rationale hinausgeht.

Was ist für Sie Ziel des Kirchentages?

Das Ziel ist, dass wir stärker zusammenwachsen, dass wir die Vielfalt christlichen Lebens erleben. Der Kirchentag wird eine Bereicherung sein und Impulse geben für den Einzelnen, für unsere Kirchen und auch für die gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit.

Interview: Petra Nicklis

Redaktion: Manfred Götzke

Alois Glück ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der Laienorganisation der katholischen Kirche. Er ist damit auch einer der beiden Präsidenten des Ökumenischen Kirchentages.