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Allianz mit Hintergedanken

Kersten Knipp15. Dezember 2015

Für den Kampf gegen den "Islamischen Staat" hat Saudi-Arabien ein Bündnis geschmiedet, dem viele Staaten der Region angehören. Es soll den IS für Anhänger unattraktiv machen - und den Iran in seine Schranken weisen.

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Bekanntgabe der Anti-IS-Allianz in Saudi-Arabien, 15.12.2015 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Saudi Press Agency

Der Himmel über Syrien dürfte in den kommenden Monaten noch mehr Flugverkehr verzeichnen als bisher. Seit Jahren wirft das Assad-Regime Fassbomben auf die Zivilbevölkerung ab. Später flogen die Mitglieder der US-geführten Koalition Angriffe gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Dann begannen die Russen, unterschiedliche Ziele zu bombardieren. Und nun sollen die Flugzeuge einer neuen, von Saudi-Arabien geführten Allianz im syrischen Luftraum einen Antiterrorkampf führen. Dieses Bündnis ist das größte: Ihm haben sich 34 Staaten angeschlossen. Zu ihnen gehören Länder aus Nahost, Asien und Afrika.

Doch welchen militärischen Sinn hat der neue Zusammenschluss? "Im Luftraum über Syrien herrscht mittlerweile ein solches Durcheinander, dass eigentlich kaum mehr jemand durchblickt, wer da eigentlich im Augenblick auf wen schießt", beschreibt der Nahostexperte Michael Lüders die Situation. Der dichte Flugverkehr erhöhe die Brisanz der Lage erheblich. Schon ein versehentlicher Zusammenstoß zweier Kampfjets könne dazu führen, dass die Lage eskaliert.

Anspruch auf politische Legitimität

Vor allem für die syrischen Zivilisten könnte sich die Lage weiterhin verschlimmern, fürchtet der politische Kommentator Ali Ibrahim in der Zeitung "Asharq al-Awsat". Das habe auch Folgen für Europa. "Zehntausende Syrer sind auf der Suche nach einem sicheren Ort bereit, das Mittelmeer zu überqueren. Das zeigt, wie groß das Chaos jetzt schon ist. Ihre Flucht könnte zu weiteren Problemen und Verstimmungen in der EU führen."

Saudische A-15-Kampfflugzeuge, 16.11.2015 (Foto: AFP / Getty Images)
Bald auch am Himmel über Syrien: saudische KampfflugzeugeBild: Getty Images/AFP/F. Nureldine

Der Hintergrund des Bündnisses könnte darum ein politischer sein. So sind die Flüge der westlichen Allianz jüngst in die Kritik geraten. "Die westlichen Bomben im Irak und in Syrien werden ebenso viele neue dschihadistische Kämpfer hervorbringen, wie sie vernichten", schreibt der Nahostexperte Serge Halimi in der Zeitung "Le Monde diplomatique". "Eine dauerhafte Lösung hängt von den Völkern der Region ab, nicht von den einstigen Kolonialmächten oder den USA."

So könnte die neue Allianz theoretisch zunächst eine stärkere Legitimität beanspruchen. Denn sie vereint eine ganze Reihe ehemals kolonisierter Staaten. Die ehemals zum Kolonienverbund Französisch-Westafrika gehörenden Länder etwa - wie Benin, die Elfenbeinküste und Mali - stehen dafür, dass in Syrien nicht nur die vielkritisierten westlichen Staaten eingreifen, sondern auch Länder, die einst unter deren Herrschaft standen. Und die muslimischen Mitgliedsstaaten der Koalition könnten der vom IS verbreiteten Propaganda entgegentreten, in Syrien und im Irak würde ein "Kreuzzug" gegen den Islam geführt.

Flüchtlingslager bei Idlib, 26.10.2015 (Foto: dpa)
Flüchtlingslager bei Idlib in NordsyrienBild: picture-alliance/dpa/AA/C. Genco

Umstrittene Führungsmacht

Problematisch ist allerdings die Führungsmacht des neuen Bündnisses: Saudi-Arabien. Das Land führt seit einem dreiviertel Jahr im Jemen einen Krieg, der nach UN-Angaben knapp 6000 Tote und 30.000 Verletzte forderte. 2,3 Millionen Menschen sind innerhalb des Jemen auf der Flucht. Vor allem aber, sagt Nahostexperte Michael Lüders, sei Saudi-Arabien aufgrund seiner eigenen höchst konservativen Ideologie als Gegner des IS fragwürdig: "Saudi-Arabien ist ein Land mit einer politisch-religiösen Ordnung, die dem System des 'Islamischen Staates' gar nicht mal so unähnlich ist. Es sind in diesem Jahr mehr Menschen durch das Schwert in Saudi-Arabien hingerichtet worden, als die Dschihadisten des 'Islamischen Staates' geköpft haben. Insoweit macht man hier den Bock zum Gärtner."

Saudi-Arabien wird längst selbst vom IS bedroht. Vom benachbarten Irak aus hat dieser wiederholt die Grenze zum Königreich zu durchbrechen versucht. Auch im Jemen hat der IS Fuß gefasst. Spätestens seitdem Saddam Hussein 1990 Kuwait überfiel und die USA danach ihre Truppen in Saudi-Arabien stationierten, lassen sich viele politische Islamisten nicht mehr von den Wahhabiten, den Hütern der saudischen Staatsreligion, beeindrucken. Im Gegenteil: Die Wahhabiten gelten ihnen längst als Kollaborateure der als korrupt verschrieenen Regierung.

Blick in das iranische Parlament (Foto: Mehr)
Riads Gegenspieler: die islamische Republik Iran - Blick ins ParlamentBild: Mehr

Der Rivale Iran

Gegenüber dieser saudischen Regierung, schreibt das mit der Politik des Nahen Ostens befasste Internetmagazin "Al-Monitor", trete der IS als unbestechliche Bewegung auf. Zudem bediene er einen alten Traum politischer Islamisten: die Wiedereinführung des 1924 unter Atatürk abgeschafften Kalifats. Das lasse ihn vielerorts als attraktiv erscheinen.

Hinzu komme die Verbitterung vieler Muslime über die autoritären Regime in der Region. "Diese Verbitterung hat die junge Generation geerbt. Diese wollte zu einer Organisation gehören, die Macht, Religion und Moderne vereint. Eben dies bietet ihnen der IS."

Die neue Allianz könnte die Spannungen aber nicht nur auf sunnitischer Seite verstärken. Auch die ohnehin bereits angespannten Beziehungen Saudi-Arabiens zu den Schiiten, insbesondere dem Iran, dürften sich weiter verschlechtern. Durch sie, sagt Michael Lüders, verschärfe sich der in Syrien ausgefochtene Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Staaten. Dies gelte umso mehr, als es Saudi-Arabien letztlich zwar auch um den Kampf gegen den IS gehe. Genauso stehe aber auch der Machtkampf mit dem Iran auf der Agenda: "Man möchte den Einfluss Teherans beschränkt sehen."