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Alles ist anders

Martin Beutler9. Juni 2006

Wenn der Ball rollt, ist Politik (endlich einmal) Nebensache, hat Martin Beutler in Berlin beobachtet.

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Mond überm Kanzleramt. Ein knappes Dutzend Reporter wartet von abends bis Mitternacht draußen vor dem Gitter auf das Ende der Koalitionsrunde zur Gesundheitsreform. An ihnen vorbei strömt die ganze Zeit über eine erwartungsfrohe, feierwütige Menge auf ihrem Weg vom neuen Berliner Hauptbahnhof zur Fanmeile auf der Straße des 17. Juni - und umgekehrt.

Keiner bleibt mal stehen und fragt, was denn los sei am Kanzleramt. Politik ist jetzt so was von Nebensache. Der Fußball regiert. Das könnte die Politiker der Koalition ärgern, in Wirklichkeit freut es sie - heimlich. Denn in diesen Wochen der WM wollen sie Weichen stellen - möglichst ungestört. Gesundheit, Föderalismus, Unternehmenssteuern: alles wollen sie bis zur Sommerpause neu regeln. Die Zeit will genutzt sein: der Fußball auf Seite 1, nicht die Reformen. Kein Forum in den Fernsehsendern für Kritiker und Bedenkenträger, auch nicht für die aus den eigenen Reihen. Keine sich medial potenzierende Empörung über Dinge, die man noch gar nicht zu Ende verhandelt hat.

Also alles Mal anders als sonst. Schonzeit für strapazierte Nerven. So hoffen die Großkoalitionäre - und drücken der deutschen Elf kräftig die Daumen. Ist ja klar - je länger sie im Turnier bleibt, desto ungestörter lässt es sich reformieren. Der Albtraum - das wäre ein Ausscheiden der "Klinsmänner" schon in der Vorrunde. Dann würden sich Euphorie und Begeisterung des Volkes unweigerlich in tiefen Frust verwandeln. Und wer bekommt dann die Prügel ab? Natürlich sie, die Politiker, mit ihren verdammten Reformen!